Sonntag, 25. August 2013

Das Tier 666

"In der Neuzeit zeigt sich etwas Eigentümliches, das jeden betroffen machen muss, der fähig ist, Wesentliches zu sehen. Der Mensch – richtiger gesagt, viele Menschen; jene, die den Ton angeben, lösen sich von Gott ab. Sie erklären sich für autonom, d.h. fähig und befugt, sich selbst das Gesetz ihres Lebens zu geben. Das bedeutet folgerichtig auch den Anspruch, sich aus sich selbst heraus verstehen zu können. Diese Haltung geht immer entschiedener darauf zu, den Menschen absolut zu setzen. Ein Ethiker unserer Zeit hat gesagt, der Mensch sei soweit, dass er die Eigenschaften, die er bisher, weil er noch unmündig war, in einen Gott verlegt habe, nun an sich nehmen könne. Allwissenheit, Allmacht, Vorsehung und Schicksalsfügung sollen nun zu menschlichen Eigenschaften werden. Er sei reif und fähig, zu entscheiden, was gut und was böse sei; was gewollt werden solle, und was nicht gewollt werden dürfe.
Neben dieser Linie läuft aber eine andere. Da wird gesagt, der Mensch sei ein Lebewesen wie alle anderen auch. Seine Geistigkeit gehe aus dem Biologischen hervor, und dieses aus der Materie. Im letzten sei der Mensch nichts anderes als das Tier, nur höher entwickelt; das Tier aber nichts anderes als das materielle Ding, nur vielfältiger gebaut. So löst der Mensch sich in die stumme Stofflichkeit auf.
Ist das nicht offenbarend? Dass diese beiden Antworten, deren jede ja doch die andere aufhebt, zur gleichen Zeit und aus der gleichen Wurzel heraus gegeben werden?"


Romano Guardini, Nur wer Gott kennt kennt den Menschen, 1952

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