Mittwoch, 12. November 2014

Auf dem Weg zur öffentlichen Einrichtung II

"Nun fragt wohl jemand: Ist es schwer in die Liturgie einzudringen? Die Antwort lautet: wenigstens nicht ganz leicht. Weite Kreise sind ihr entfremdet; auch solche, die es mit der Religion ernst meinen. Liturgie ist, zugleich mit Dogma und Kirchenverfassung, die Kraft vollster Ausprägung des katholischen Geistes. Dazu musste gerade hier der Protestantismus ist eine schlimmste Wirkung tun. Protestantische Religiosität will für die Innerlichkeit keine objektiven, gar bindenden Ausdrucksformen. Sie hat auch auf viele Katholiken Einfluss gehabt. Solche empfinden die Liturgie wie leere Äußerlichkeit, und fühlen sich durch eine Predigt oder eine Privatandacht mehr angeregt, als etwa durch die unausschöpfbar tiefen Weihen des Karsamstags...
Wir stehen vor einer gewaltigen Erneuerung des katholischen Lebens. Vielleicht ist unsere Zeit berufen, die Größe der katholischen Religion tiefer zu begreifen als irgendeine andere zuvor, denn sie hat den nötigen Abhebungsgrad dafür: den zerstörenden Umsturz überall. Erst jene Zeit wird die ungeheuere Bejahung des katholischen Geistes mit allen Fiebern empfinden, die auch das Rasen der negativen Kräfte mit wachen Sinnen verspürt hat. Dogma, Liturgie und Kirchenverfassung sind aber die drei monumentalen Äußerungen dieses Geistes...
So gilt es, sich die Welt des kirchlichen Gebetslebens neu zu errobern. Und hier fällt vor allem dem Akademiker eine führende Rolle zu. Er besitzt den unschätzbaren Vorteil zu sorgfältigerer Bildung und vermag so die Kulturwerte der Liturgie besser zu würdigen. Er versteht auch, zum größten Teil wenigstens, die lateinische Sprache. Daher ist er der gegebene Pionier der liturgischen Frömmigkeit, die, wie alles reife und echte Gut, von oben nach unten dringen muss.
 Freilich muss er vor allem das Bewusstsein haben, dass die Liturgie der Kirche als Geistesschöpfung von millenarer Grüße vor ihm steht. Eine der schlimmsten Gefahren demokratischen Geistes ist die Arroganz, die keine Größenunterschiede anerkennen will, und meint alles sei allen ohne weiteres zugänglich. Solche Gesinnung würde sich die Tore zum Heiligtum verschließen. Nur wer die Grundeigenschaft echten Geistesadels hat: den Blick für Unterschiede und die Ehrfurcht vor der Größe, hat Zutritt zum "Opus Dei". Er wird sich auch auf eine andauernde Bemühung einrichten, und nicht gleich entmutigt sein, wenn er Schwierigkeiten begegnet.

Romano Guardini, ""Lex orandi", Gedanken über die Liturgie", 1919

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