Samstag, 30. November 2013

"Warum bleibe ich in der Kirche?"

"Jedenfalls nicht deshalb, weil ich an irgendeinem Zeiger ablesen könnte, dass die Kirche a) meinen Erwartungen oder b) Gottes Erwartungen entspricht. Denn zu a) liegt die Frage ja umgekehrt: ob nämlich ich den Erwartungen der Kirche entspreche und zu b) kann auch ein Unterbelichteter sehen, dass die Kirche als der Haufen Sünder, den sie darstellt, nie den Erwartungen Gottes entsprechen wird.

1. Ich bleibe in der Kirche, weil die alte Catholica noch immer annähernd so aussieht wie das Gebilde, das sich an den Tagen nach der Auferstehung Jesu kristallisiert hat…
Es geht heute gar nicht darum, wo der Papst oder ein Bischof recht oder unrecht hat, sondern um
die aufgerichtete Struktur, die sich (nicht aus eigenen Kräften, sie ist ja schwach und «gebückt»,
sondern weil sie aufgerichtet wurde) durchhält, gerade wo und weil sie geduckt wird… Man spricht von der Sichtbarkeit der Kirche, aber man gebe acht: sichtbar ist die apostolische «Struktur» immer nur mit ihrer Demütigung zusammen…

2. Warum ich in der Kirche bleibe? Weil sie nur als die Kirche der Apostel, die weiß, was
Auftrag vom Herrn und Dienst am Herrn ist, mir das Brot und den Wein des Lebens reichen kann. … Ich lasse mich nicht mit den Beteuerungen abspeisen, dass es auch kondensierte Ersatzpräparate gibt, die Nächstenliebe vor allem, ohne die jene Nahrung ohnedies nicht anschlägt.

3. Warum ich in der Kirche bleibe? Weil sie die Kirche der Heiligen ist, der verborgenen und einiger, die wider Willen in das Tageslicht gestoßen sind. Sie widerlegen den törichten Einwurf, der Christ wisse nichts Besseres als seinen hingegebenen Gott zu empfangen, und er vergäße darüber,
sich selbst mit Mut und Phantasie in unbekannte Abenteuer zu überschreiten… Sie sind demütig, das heißt, dass die Mediokrität der Kirche sie nicht abschreckt, mit ihr ein für allemal solidarisch zu sein, denn sie wissen wohl, dass sie ohne die Kirche den Weg zu Gott nicht fänden. [183ff.]"

Hans Urs von Balthasar, Klarstellungen. Zur Prüfung der Geister




Mittwoch, 6. November 2013

tuto orbe

"So kann man sagen: die katholische Kirche ist dort, wo kein Auswahlevangelium und keine parteiische Ideologie, sondern der ganze Glaube aller Zeiten und Räume ohne Abstriche in seiner Gefühle festgehalten wird und wo man ihn weltweit bei allen Völkern und in allen Kulturen für alle Menschen, ungeachtet ihres Standes, ihres Geschlechts, ihrer ethnischen Zugehörigkeit und ihrer Kultur bezeugt, wo der Glaube ganzheitlich auf alle Dimensionen des Menschen bezogen und gelebt wird, wo innerhalb der Einheit einer größtmöglichen Vielfalt Raum gegeben wird und wo man in Heiligen Geist je hör-und lernbereit ist für das je Größere und je Neue der Fülle Jesu Christi. Katholizität meint damit das Gegenteil von Enge und bornierter Engstirnigkeit, von polemischer und apologetische Abgrenzungsmentalität; sie besagt weiter, Ganzheitlichkeit, Fülle und Universalität. Katholisch ist eine faszinierende Sache, zu der man sich zwar ohne Überheblichkeit, aber doch mit berechtigtem Stolz bekennen kann." 

Kardinal Walter Kasper, Katholische Kirche, 2011, S. 260