Samstag, 15. Dezember 2012

Sprung - Ewiges Leben

"Oft denke ich auch an das ewige Leben. Ich glaube, dass ich es schon von jetzt an habe. Das wird wortwörtlich vom heiligen Johannes so gesagt, aber ich glaube daran in einer existenziellen, realen Weise. Ich weiß, dass dieses gegenwärtige ewige Leben nach dem Tod gleichsam in einem Sprung in Gott einmünden muss, wo es vollständig offenbar werden wird; aber es ist unmöglich, sich das auszumalen, nicht über das hinaus, was man sich vorstellen kann, wenn man sieht, dass aus einer Larve ein Schmetterling wird oder dass die Blüte des Kirschbaums, die so schön ist im April, zur Frucht wird. Ich denke oft daran, aber jedes Mal stoße ich an ein Geheimnis, für das ich keine Erklärung finden können."

Yves Congar, Herbstgespräche

Montag, 10. Dezember 2012

Zeugnis Neuer Ökonomie

"Dieser innere Zusammenhang ist eben der der göttlichen Heilsökonomie, aber er ist nicht bloß der eines jenseitigen Planes, der im Geiste Gottes verborgen liegt; er hat, wie die Heilsökonomie als solche, eine konkrete (im scholastischen Sinne des Wortes könnte man sagen: eine "physische" (d.h. eine reale Ganzheit bildende)) Wirklichkeit, die aus einem Leib und einer Seele besteht. Dieser Leib ist die Sendung, die Seele ist der heilige Geist. 
.... 
Nach den Aposteln sollte die Kirche gewiss die Nutznießerin des Offenbarungs- und Erlösungswerkes Christi sein, aber sie sollte auch das Werkzeug dafür sein, das Mittel der Mitteilung an die Welt. Das Neue Testament sieht sie als die, die von der Menschwerdung lebt, aber auch als die, die durch diese Menschwerdung die innere Bewegung empfangen hat und die diese fortführt, bis Christus in Macht und Herrlichkeit wiederkommt. Diese Einheit der Sendung verwirklicht zwischen all denen, die, ein jeder an seinem Platze und bei Wahrung aller Unterschiede der Situation, die Sendung empfangen haben, die Einheit einer gleichen moralischen Körperschaft von Gesandten und Zeugen. Unter dieser Hinsicht kann man von einem einzigen Träger der Tradition sprechen, der sogar ihre Quelle umfasst und der von dieser bis zu uns fortschreitet, wie eine Welle vom Punkte ihres Entstehens bis zum Gestade läuft. Die Quelle, das waren die Propheten und die Apostel als Zeugen Jesu Christi, das ist Jesus Christus als Zeuge des Vaters - "Philippus, wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen" (Joh 14,9); "Meine Lehre stammt nicht von mir, sondern von dem, der mich gesandt hat" (7,16) -: Das ist schließlich Gott selbst, der Vater, der Urgrund ohne Grund, von denen die Sendung Christi ihren Ausgang nimmt, wie überhaupt das ganze Sein des WORTES, das in Jesus Christus Mensch geworden ist. Es war ein im Judentum anerkannter Grundsatz, dass die Autorität dessen, der sendet, sich dem mitteilt, den er sendet. Im Neuen Testament begegnet uns etliche Male der Widerhall dieses Grundsatzes: "Wer euch aufnimmt, nimmt mich auf, und er nimmt den auf, der mich gesandt hat" (Mt 10,40, ..)
...
Die katholische Kirche glaubt unbefangen und fest an die Tatsache, dass Gott in der Welt eine Sendungskörperschaft aus einem Guss geschaffen hat und dass sie eine Wirklichkeit göttlichen Rechtes und eine öffentliche Wirklichkeit ist: die Öffentlichkeit ist eine der bezeichnenden Züge der Offenbarung, ob man diese auf der Stufe der Propheten, der des Evangeliums oder der des Apostelamtes und der durch das Pfingstfest begründeten Kirche betrachtet. Es gibt wirklich in der Welt eine von Gott gesetzte Körperschaft, die das trägt und übergibt, was er der Welt ausgeliefert hat, damit diese davon lebe und gerettet werde."

Yves Congar, Tradition und Kirche



Samstag, 1. Dezember 2012

Zweifache Sicht

"Die Kirche wächst permanent seit 1962. Aber gibt es die Deutschen in 50 Jahren?! Mein Gott, machen Sie den deutschen Laden ein bisschen auf." (aus dem Gedächtnis zitiert)

Roman Siebenrock, Professor für Dogmatik, Universität Innsbruck,
am 1.12.12 bei einem Studientag zu Lumen Gentium, in Berlin

Basics um Fallensteller bloßzulegen




Prof. John Lennox, Mathematiker, Wissenschaftsphilosoph, Oxford
Der neue Atheismus
Vorträge an der Universität Salzburg 2011




Montag, 26. November 2012

Abschied

"Gewiss kann das Leiden einmal so gross und geheimnisvoll werden, dass es Gott aus dem Bewusstsein des Leidenden auslöscht. Aber es kann auch sein, dass Gott im Leiden noch größer wird und dass er im Größerwerden die letzte Zuflucht und Hoffnung des Leidenden bleibt.
Der Atheismus ist also immer möglich, aber er ist nie notwendig. Er scheint zu unseren Zeiten eine Art geschichtlichen Schicksals und geschichtlicher Notwendigkeit zu haben. Aber auch dies ist nur ein Schein.
Man kann manchmal die Menschen verstehen, die zum Atheismus gekommen sind. Wir haben es versucht. Aber was die Geschichte und ihr Geschick angeht, so bleiben die letzten Gründe des geschichtlichen Geschehens, das den Atheismus zur Weltmacht gemacht hat, auf jeden Fall im Geheimnis.
Man kann, auf die Geschichte blickend, sagen: Die Zeit des Atheismus ist gekommen. Aber wenn sie gekommen ist, kann sie, wie jede Zeit, auch wieder gehen. Und für die, für die Gott zur lebendigen Erfahrung wurde, bleibt immer ein Weg des Glaubens. Nur wird der Glaubende für einige Zeit mit seinen atheistischen Zeitgenossen leben müssen."

Bernhard Welte, Religionsphilosophie, 165

Neuzeit als Bemühung der Inkarnationsverwirklichung

Am Ende des materialistisch-emanzipatorisch geprägten, naturwissenschaftlich dominierten Zeitalters der sog. Neuzeit wird zunehmend und schlagartig offenkundig und klar: Die materialistische Naturwissenschaftlichkeit ist eine Regung der großen Tatsache und Umwerfung des Gesamten der Inkarnation, das aufklärerisch-kritische Emanzipationsdrängen, aber die Wehen des Aufgangs, der Metanoia des neuen erlösten-divinatorischen Lebens, welches durch die Erscheinung und endgültig durch die Auferstehung Jesu Christi vom Tod eröffnet und als werdend-gewordenes Reich aufgerichtet worden ist.
Die Neuzeit in ihren ureigensten Bestrebungen kann nur zur Selbstaufklärung und dann auch zur Selbsteinsetzung und d.h. -verwirklichung gelangen, wenn sie sich mit ihren Mitteln und Methoden, aber über diese Mittel und Methoden hinausgehende, sie erfüllende und überschreitende (metanoia) Bewegung der Wirklichwerdung der wirklichen Neuen Zeit erfüllt, realisiert und dann auch in die Bewegung ihrer Verwirklichung gerät.
Die Neuzeit ist die Verwirklichung der Inkarnation, der Menschwerdung Gottes, als Welt und als Reich, als Reich des Geistes des Sohnes, als des Gottes Sohnes und des Königs der Welt und d.h. der Schöpfung, des Alpha und des Omega, des LOGOS, der Offenbarwerdung des Ursprungs als der Eröffnung der Realisierung seiner Verwirklichung und Offenbarwerdung. Die Neuzeit ist die Emanzipationsbewegung der Werdung dieses neuen, vollendeten und vollkommenen, des ewigen Lebens, im Geist und im Leib, im Leib, welcher als der Leib Christi die Kirche ist, welche die Welt wird, welche wiederum die Fülle der Zeit und der Erfüllung und die Fülle des Raumes wird, die Fülle der Wirklichwerdung und die Zeit der Wiederankunft und Offenbarwerdung Christi.
Kann die Dynamik, die inverse und die extense der Neuzeit, ihrer Herkunft, ihres Kontextes und ihrer Entelechie anders als auf diesem Wege erschöpfend aufgeklärt werden?
Erfüllt sie sich in einer anderen als in dieser Synthese, Symbiose und Panoptik?
Hat sie eine andere Möglichkeit ihrer eigenen Selbstverständigung?
Ist sie nicht das, was sie immer schon übersteigt, betreibt und in deren Ein- und Zustimmung ihre Freiheit besteht, die Erfüllung ihrer Autonomie und der Aufgang, die Einlösung ihres Selbst?

Was bedeutet dies aber z.B. für ihre Physik, für die Grundwissenschaft ihrer Selbstvergegenwärtigung? Reicht es für eine spirituelle, eine mentale, eine bewußtseinsmäßige Erweiterung der Physik (und der von ihr abgeleiteten und an ihr hängenden Grundwissenschaften (der Ökonomie, der Soziologie, der Biologie und Biochemie, der Pychologie, der Literatur- und Kulturwissenschaft, der Historie etc.) zu plädieren? Besteht eine wahre Eröffnung und Alterierung und damit Wachstumsherausforderung für die und der Physik nicht einzig und allein in ihrer Herausforderung und Eröffnung und Ergänzung durch allein jene von ihr verdrängte ehemalige Grundwissenschaft der Theologie und d.h. hier der Offenbarung, um die Physik mit einem ihr wirklich anderen und sie dann auch Herausfordernden und Erweiternden und zum Wachstum herausrufenden zu konfrontieren und zu und auf ein solches zu eröffnen, das ihr einzig die Möglichkeit geben würde, ihre Forschungsprogramme auf die wahren Fragen, Fraglichkeiten und Herausforderungen zu erweitern: die der Entstehung, der Werdung, der Zusammensetzung, der wirklichen Entwicklung, Bestimmung und angemessenen Wachstumsgesetzbestimmung?
Ist die Physik nicht einzig durch einen Gott herauszufordern, durch einen Gott ohne welchen sie letztlich immer nur eine wenn auch mehr oder weniger geschickt kaschierte Spießer- und Sandkasten-elementarstufen-veranstaltung bleiben würde und muß, eine, die immer viel mehr und mächtiger wäre und ist in ihrer hervorragenden Mächtigkeit der Analyse und d.h der Auflösung und Zerstörung als in der Beschreibung der wirklichen Werdung ohne Ausflüchte in ursprungs- und anfangslose Mythen der angeblichen Evolutivität (Welche als solche der Inbegriff der Erklärung ohne die Erklärung, der Tautologie ist, welche auch noch dazu von einer dunkelsten Art der Mythengläubigkeit und des Für-bare-Münze-Haltens abhängig ist, welches als Position den Stolz jedes nicht gerade debilen Verstandes maßlos kränkt und verletzt!)
Und: Besteht nicht in dieser gar nicht einmal mutigen, sondern allein angemessenen Alternative und Aufstellung die einzige Möglichkeit der Fruchtbarwerdung, der Produktivität der Naturwissenschaft, jener Wissenschaft, die uns erklären und sagen sollte und doch auch will (wenn sie wirkliche Wissenschaftler und nicht pausbackige Pantoffelbeamtenverwalter betreiben und okkupiert haben, um unendliche öffentliche Mittel für ihre unfruchtbare Vorstellung und Aufstellung zu verschwenden), wie und warum etwas, das ist, ist, so wie es wird und wie es ist aus seinem unendlichen und in seinem unendlichen Wunder, dass es ist und dass es wird? Ist die Naturwissenschaft und ist die Physik nichts anderes als Theologie, basal runterbuchstabierte Theologie, aber eine, die immer um die Bedeutungs-, Wort-, Satz-, Sprach- und Sprecherhaftigkeit, die Autorität der Buchstaben und der Sprache weiß und die nicht von einem pathologischem Begriffs- und Figurenkonkretismus beschlagnahmt ist, um sich über alle Maße peinlich zu machen und uns mit ihrer Unbedarftheit, Belanglosigkeit, Gemeingefährlichkeit und Schmerzen erregenden Borniertheit zu quälen?

Wie ist es möglich, dass sich die Theologie (wohl ist es die Theologie des 19. Jahrhunderts..!) von einer solchen Lachnummer nicht nur die Schau stehlen läßt (im wahrsten Sinne des Wortes!), sondern sich vollkommen an den Rand, die Ränder, in die Luftlosigkeit (Luft=Geist, Hl. Geist..) verdrängen und verscheuchen läßt, um seit dem eine Rechtfertigung der Nichtvorhandenheit, eine Obertontheologie (Die absolute Perversion des Propriums und Ehrentitels der Übernatürlichkeit.), oder besser -philosophie zu sein, eine Theologie, die stirbt und schon gestorben ist und nicht ist und nicht war, wenn sie nicht die Theologie der vollen Fülle Gottes und d.h. auch dann der vollen Fülle seiner Schöpfung, seiner Analogie ist, seine analogia entis, seine philosophia perennis, welche die Philosophie, der Theo-Logos des unendlichen Wunders der Menschwerdung Gottes, der Inkarnation ist, des Wunders des Wunders, des einzigen Grundes des Seins?

Und hat hier nicht die Theologie des Mysteriums, der Theodramatik, die wahre Theologie des Kreuzes und die Kontemplation und Admiration der Krippe, die Anrufung des Heiligen Geistes, haben nicht diese von den Hauptkathedern und in die Exklusivitätsorte verdrängten Invektiven haben sie nicht die Keime und die Antriebe jener wahren Verwirklichung der Theologie bewahrt und fortgetragen, um sie in und für eine Zeit fruchtbar werden und aufgehen zu lassen, welche eine Zeit der wirklichen Kompetenz und Fähigkeit der Aussetzung und der Konfrontation, der Gegenüberstellung vor das wirkliche und wahre Geheimnis der Wirklichkeit ist, welches das wirkliche und wahre Gegenübertreten vor das Geheimnis des unendlichen Gottes ist, welcher uns als der Geber und als der gebende und entgegenhaltende Grund von jenseits der Gabe entgegensteht und -blickt und welcher eine jubelnde Wissenschaft, ein sich einlösendes Leben und einer wahrhaftigen und d.h. mystischen Theologie bedarf, welche eine Theologie der Klarheit ist?

Was ist die Technik in dieser Zeit? Ist sie nicht das am wenigsten entwickelte Kind und Etwas, ein Krüppel dieser Zeit? Ist sie nicht eine Peinlichkeit und Verlegenheit und Anmassung, eine Minderwertigkeitskomplex-Angetriebenheit? Ist sie nicht das am meisten beschrieene und das damit auch gehaltloseste (Nicht-)Produkt einer Zeit, die am allerwenigsten technisch ist? Einer Zeit, die es gerade nicht versteht, was Einlösung ist, die es nicht versteht, sich einzulösen, ihre Vorgaben und Gründe zu verwirklichen, sein zu lassen, werden zu lassen, offenkundig werden zu lassen. Eine Zeit, die (mittels ihrer "Technik") aus der und durch die Erstickung ihrer Gründe und Möglichkeiten lebt, um Scheinmöglichkeiten an ihre Stelle zu setzen, die gerade ihrem Anwender immer mehr das technische Ungenügen bewußt werden lassen, das ihm jene Simulakren der Befriedigung bereiten, welche ihn verkleinern und die Prothese ins Überzogene wuchern lassen, um erneut nur traurige Anblicke zu generieren?
Wie also die Technik erobern, wie das technische, das Herstellungsvermögen der Zeit eröffnen, retten, gewinnen und wiedergewinnen? Wie die schöpferische Würde einrichten und wiedereinrichten? Wie anders als durch die Erinnerung der Quellenhaftigkeit ihrer Vollzieher, durch die göttliche Abhängigkeit ihrer Gründe und durch die absolute Berufung ihrer Betreiber? Inkarnation, Verwirklichung, Umsetzung. Wir brauchen nur einer Gabe zustimmen und jener sich annehmen, die wir gerade abstoßen und loswerden wollten und hofften, die aber unsere Rettung und nicht nur das: die die Möglichkeit unseres Selbst ist.
Und gerade so werden und bleiben wir Neuzeit. Neue Zeit.

Neue Zeit, die in die Ewigkeit geht.

Sonntag, 25. November 2012

Verkündigung im Unbekannten

"Weit  problematischer ist das Verhältnis zu den Heiden. Hier müsste man sich mit Lukas auf den Areopag führen lassen, wo Paulus inmitten der vielen Kulte den Agiosto Theo geweihten Altar entdeckt und von ihm aus die Verkündigung des einen Gottes als die Entdeckung dieses großen Unbekannten verkündet, der den Athenern immer schon präsent, aber nicht bewusst gewesen sei (Apg 17,16.34)."

Thomas Söding, Bekehrung zur Wahrheit, Communio, 2012


Montag, 19. November 2012

Fürsorge

"Die Abba-Erfahrung Jesu ist nicht eine für sich stehende - wenn auch in sich sinnvolle - religiöse Erfahrung, sondern darin zugleich eine Erfahrung Gottes als "Vater", der seinen Kindern sorgend Zukunft schenkt, eines Gottes, Vaters, der jedem Zukunft gibt, dem von der Welt her gesehen überhaupt keine Zukunft mehr zugesagt werden kann. Aus seiner Abba-Erfahrung heraus kann Jesus den Menschen die Botschaft von einer Hoffnung bringen, die sich nicht aus unserer Weltgeschichte ableiten lässt, weder aus individuellen noch aus sozial-politischen Erfahrungen, wenn diese Hoffnung sich auch in diesen realisieren muss."

Jesus, Die Geschichte von einem Lebenden, Edward Schillebeeckx, 1974, 237

Schibboleth der Entwicklung

"Für uns modernen Menschen ist die Geschichte - auch die Jesusgeschichte - erst dann richtig zu verstehen, wenn wir zu einer zweiten Primitivität, einer zweiten erzählenden Unschuld, kommen, d.h., wenn wir durch die Geschichtswissenschaft und die Kritik hindurch gegangen sind und so zu einer "erzählenden Unschuld" zurückkehren, die dann selbst ihre kritische Kraft aus Wissenschaft und Kritik wiedergewinnt."

Jesus, Die Geschichte von einem Lebenden, 1974, Edward Schillebeeckx

Montag, 12. November 2012

De Ecclesia

"Wie wir sehen, dass es in dem einen Menschen nur eine Seele und einen Leib gibt, aber doch verschiedene Glieder, so ist auch die katholische Kirche ein Leib, der verschiedene Glieder hat. Die Seele aber, die diesen Leib belebt, ist der Heilige Geist. Daher ist uns geboten, nach dem Glauben an den Heiligen Geist den an die heilige katholische Kirche zu bekennen. So fügen wir im Glaubensbekenntnis hinzu: "... an die heilige katholische Kirche".
"Kirche" bedeutet "Versammlung". Die heilige Kirche ist also die Versammlung der Gläubigen. Und jeder Christ ist wie ein Glied dieser Kirche. Diese heilige Kirche aber erfüllt vier Bedingungen.
1. Die Kirche ist eine. Diese Einheit der Kirche hat drei Ursachen. Zunächst die Einheit des Glaubens; denn alle Christen, die zum Leibe der Kirche gehören, glauben dasselbe. Zum zweiten die Einheit der Hoffnung; denn alle stehen fest in der einen Hoffnung, das ewige Leben zu erlangen. Endlich die Einheit der Leibes; denn alle sind in der einen Liebe zu Gott und in gegenseitiger Liebe zueinander verbunden. Wenn diese Liebe echt ist, dann zeigt sie sich darin, dass die Glieder füreinander besorgt sind und das Leid gemeinsam tragen.
2. Die Kirche ist heilig. Die dieser Versammlung (der Kirche) angehörenden Gläubigen werden aber aus zwei Quellen geheiligt. Zunächst durch die Taufe; denn wie man einen Kirchenraum vor der Weihe äußerlich säubert, so werden auch die Gläubigen im Blute Christi gewaschen. Zum zweiten durch eine Salbung; wie ein Kirchenraum gesalbt wird, so auch die Gläubigen durch eine geistliche Salbung, durch die sie geheiligt werden. Andernfalls wären sie keine "Christen", denn "Christus" bedeutet Gesalbter. Endlich durch die Einwohnung des dreifaltigen Gottes, denn der Ort, wo Gott wohnt, ist heilig.
3. Die Kirche ist katholisch, d.h. allgemein. Zunächst räumlich, denn sie ist auf der ganzen Welt ausgebreitet. Zum zweiten im Hinblick auf die Stände der Menschen; denn keiner ist ausgeschlossen, weder Herr noch Sklave, weder Mann noch Frau. Drittens zeitlich, denn die Kirche nahm ihren Anfang zur Zeit Abels und wird bestehen bis zum Ende der Welt.
4. Die Kirche steht fest. Ein Haus steht fest, wenn es gute Fundamente hat: das Fundament der Kirche ist Christus; das abhängige Fundament aber sind die Apostel und ihre Lehre. Daher wird die Kirche apostolisch genannt."

Thomas von Aquin, Kommentar zum Apostolischen Glaubensbekenntnis, Art. 9 (gekürzt), zitiert nach M.D. Chenu, Thomas von Aquin

Sonntag, 11. November 2012

Quellen

"Postmoderne "Wüste" stellt die Frage nach einem Selbstüberstieg, in dem das Denken von einem wirklichen und wirkungsvollen Gegenüber herausgefordert wird. Es stößt eben nicht nur auf ein eigenes, sondern auf ein anderes, ebenso vertrautes wie fernes "Innen", inerior intimis meis (Augustinus). Sofern diese Bewegung nicht vollzogen wird, bleibt das Denken selbstbezüglich und selbstthematisch, letzten Endes nur auf Methodenfragen zugespitzt: es fragte nach "wie", nicht mehr nach "was". Oder positiv ausgedrückt: sofern die gemeinsame Anstrengung des Denkens jenes Gegenüber sucht, genauerhin seine "Spur" zulässt, rührt sie an die Grenze des universitär Möglichen. Und doch, was wäre denn der Mühe wert als eben dieses die Grenzen der Akademie Sprengende?
Nüchtern: Worüber man nicht schweigen kann, davon muss man sprechen. Sprechen freilich unter dem Vorbehalt, dass man auch versteht aufzuhören (im genialen Sinn des deutschen Wortes): aufhorchend von etwas ablassen und hinhorchend sich ausstrecken auf das, was sich vernehmen lässt. À Dieu? Postmodern gelesen kann es auch heißen, von einem zu klein gedachten Gott ablassen und sich ausstrecken auf ein Neues (lang Vergessenes, und Verborgenes)."

Hanna-Barbara Gerl Falkovitz, À Dieu?, 2012

Dienstag, 6. November 2012

Mißsicht


"Als Paulus plötzlich dem wahren Gott begegnete, dem er zu dienen wähnte, erkannte er nicht nur, daß er Ihn nicht kannte - "Wer bist Du, Herr?" -, sondern auch, daß er Ihm widerstand, daß er Ihm widerstrebte, Ihn verfolgte, ohne es zu wissen, und zwar gerade dann, wenn er ehrlich glaubte, Ihn zu ehren."

Begegnungen mit Christus, Louis Evely

Mittwoch, 31. Oktober 2012

Ausgewogenheiten

"Die Kirche als Institution ist somit die Form, ihre Diener das "Sakrament“ des mystischen Leibes Christi. Ihr Fortschreiten in der Zeit belässt sie mit sich selbst identisch, ohne Nachteile für die Typologien, die im Verlauf der Geschichte die spirituellen Gesetze dieses Fortschreitens zutage treten lassen. Im Licht des grandiosen Schemas des Heilswerkes, wie es die griechischen Lehrer vortrugen, sind die Menschwerdung Christi und sein sichtbarer, sozialer Leib wesensbestimmend für die geschichtliche Mittlerstellung der Kirche zwischen Gott und Mensch, so dass sie durch ihre eschatologische Spannung nicht zu einer spirituellen Theokratie verbogen wird. Gerade der Plan der Summa Theologiae des Thomas, der auf der Rückkehr zu Gott durch die geschichtliche Realität der Inkarnation und in ihr gründet, illustriert die einzigartige Ausgewogenheit dieser Synthese, die die Theologen der Reformation und der Gegenreformation nicht beachten werden. Es ist ziemlich sensationell, dass es die Magistri dieser evangelisch orientierten Generationen sind, die nicht nur praktisch, sondern auch denkerisch in der tiefen Krise der Christenheit beim Eintritt in die neue Zeit das Wesen der Kirche umrissen haben, ihre christologische Natur, ihr spirituelles Lebensgesetz, ihre gotthafte Innerlichkeit, ihre hierarchische Verfassung, ihre unfehlbare Zeugenschaft. Die Kirche der Inkarnation in der Abfolge der geschichtlichen Christenheit ist die Wirklichkeit und das Maß der Kirche des Heiligen Geistes."

Marie Dominique Chenu, Thomas von Aquin, Rowohlt, 1960

Montag, 29. Oktober 2012

Die Tiefe der Offenbarung


„Ich werde gefragt, was für mich der wichtigste jemals auf der Erde ausgesprochene Satz ist. Die Antwort weiß ich sofort: Ego sum resurrectio et vita. Ich bin die Auferstehung und das Leben. Was wir unser ganzes Leben hindurch lesen oder hören ist beträchtlich, aber sobald man die meisten Sätze einmal gesagt oder gelesen hat, reicht es für immer. Andere jedoch treffen einen mitten ins Herz. Ein Spruch hat mich geprägt, als ich ihn zum ersten Mal hörte. Ich war sechs und meine Mutter redete schon mit mir wie mit einem Mann. „Denke immer daran“, erklärte sie mir, „was Christus gesagt hat. Ich bin die Auferstehung und das Leben. Darin ist alles enthalten.“ Das war geheimnisvoll in seiner großen Einfachheit und mithin unvergesslich. Dieser Satz hat mich mein ganzes Leben lang begleitet. Er schenkt jedem seine Wahrheit und erklärt jedem den Sinn seines Schicksals. Was wäre der Mensch ohne diese endgültige Hoffnung? Ein Schatten unter den Schatten einer zufälligen Schöpfung, ein Gemisch von Atomen, die von nirgendwo herkommen , um ins Nichts zu gehen. Ein Wesen, das ohne Grund in einem unerklärlichem Universum aufgetaucht ist. Das ist die Vorstellung jener, die an das Nichts glauben. Aber es gibt dieses Wort Christi. Es löscht alle anderen, die seit Anbeginn unserer Geschichte ausgesprochen worden sind. Mit ihm besteht der Geist fort. Wir sind zu unsterblichem Fleisch, zu endloser Jugend bestimmt. Der Traum der Menschheit nimmt buchstäblich Gestalt an.“ 

Julien Green, Tagebücher, 26. 9. 1996

Freitag, 26. Oktober 2012

Kraft der Versammlung

"Wenn nämlich ich in so kurzer Zeit zu eurem Bischof in so enge Beziehung getreten bin, die nicht menschlich, sondern geistig ist, um wieviel mehr muß ich euch glücklich preisen, die ihr (ihm) so fest verbunden seid, wie die Kirche mit Jesus Christus und wie Jesus Christus mit dem Vater, damit alles in Eintracht zusammenstimme? Keiner lasse sich irreführen: Wer nämlich nicht innerhalb der Opferstätte ist, der kommt um das Brot Gottes. Wenn nämlich das Gebet eines einzigen oder zweier (Menschen) eine solche Kraft hat, um wieviel mehr das Gebet des Bischofs und der ganzen Gemeinde? Wer also nicht zur Versammlung kommt, der ist schon von Hochmut besessen und hat sich selbst gerichtet. Denn es steht geschrieben: "Den Hochmütigen widersteht Gott". Hüten wir uns also davor, mit dem Bischof uns zu entzweien, damit wir im Gehorsam gegen Gott verharren."

Ignatius von Antiochien,  Brief an die Epheser, ca. 115 n. Chr.

Montag, 22. Oktober 2012

Korrelation und Entwicklung

"Es gibt in der Tat eine Konvergenz oder Korrelation zwischen dem, was die Botschaft des Evangeliums als Verheißung, Forderung und Kritik aufstellt, und dem, was der Mensch als Befreiung in seinem Widerstand gegen die Bedrohung des gesuchten Humanum erfährt. Die christliche Botschaft gibt eine verheißungsvolle und kritische Gegen-Antwort auf die lebendige Praxis der Menschheit, soweit diese auf der Suche nach innerem und gesellschaftlichem "schalom" ist. Ob man diese christliche Antwort nun akzeptiert oder ablehnt, man kann nicht leugnen, daß sie als Antwort (in der Form der Verheißung, Möglichkeit, Perspektive, Kraft oder Kritik) historisch relevant ist, sinnvoll für den, der danach sucht, was der Sinn des menschlichen Lebens, individuell und kollektiv, persönlich und politisch-gesellschaftlich ist. Damit ist die christliche Botschaft verständlich geworden. Doch bedarf diese "negative Dialektik" noch einer inneren Ergänzung."
Edward Schillebeeckx, 1970

Donnerstag, 18. Oktober 2012

Umfassendes Koordinatensystem der Erlösung

"Mit unterschiedlichen Auffassungen von konkreten Normen für eine hier und jetzt erforderliche Menschenwürde leben zu lernen wird zu den Aufträgen moderner lebbarer Menschlichkeit gehören. Die Trauer über diesen Pluralismus gehört zu unserer (vor allem modernen) condition humaine, mit der wir fertig werden müssen, und zwar eben nicht durch diktatorische Ablehnung anderer Auffassungen. Auch diese Lebenskunst gehört zum wahren, guten und glücklichen Menschsein innerhalb der Grenzen unserer Geschichtlichkeit und Vergänglichkeit, wenn wir nicht "Megalomanen" werden wollen, die es sich in den Kopf gesetzt haben, über ihre menschliche Vergänglichkeit hinauszuschießen. Aber der Wile zum Heil aller und jedes einzelnen Menschen darf andererseits auch nicht von der "Politik" als der sogenannten Kunst des Möglichen, des Machbaren oder Erreichbaren ausgehen. Politik ist eher die schwierigere Kunst, das, was für menschliches Heil notwendig ist, tatsächlich auch möglich zu machen.
Christliches Heil, in der schon jahrhundertelangen biblischen Tradition Erlösung genannt und als Heil-von-Gott-her für Menschen gemeint, hat also mit dem ganzen Koordinatensystem zu tun, in dem der Mensch wirklich Mensch sein kann. Man kann dieses Heil - Heilsein von Menschen - nicht nur in der einen oder der anderen dieser Konstanten suchen, etwa ausschließlich in "ökologischen Appellen", im ausschließlichen "Seid nett zueinander", im ausschließlichen Umsturz eines Wirtschaftssystems (des marxistischen oder kapitalistischen) oder in ausschließlich mystischen Erfahrungen: "Halleluja! Er ist auferstanden!" Andererseits ist die Synthese von all dem ein eindeutiges "Schon-jetzt" und "Noch-nicht". Die Art und Weise, wie menschliches Scheitern und menschliche Mißerfolge verarbeitet werden, wird eine (vielleicht die wesentlichste) Form von "Befreiung" genannt werden müssen. Das könnte dann wahrscheinlich die allumfassende "anthropologische Konstante" sein, in der Jesus der Christus uns vorangehen wollte."

Edward Schillebeeckx, Christus und die Christen, 1977

Mittwoch, 17. Oktober 2012

Vertrottelung

"Muß man nicht davon ausgehen, daß die den Haß und die Verzweiflung bzw. die Apathie nährenden Gegensätze nur dann in nichtkatastrophischer Weise überwunden werden können, daß also die Armen und Ausgebeuteten nur dann ohne Explosion des Hasses aus ihrem beschädigten, von Anbeginn entstellten Leben heraustreten können, wenn es in den reichen Ländern dieser Erde (und nicht nur bei den mitleidlos reichen Raffern innerhalb der unterdrückten Völker selbst) zu einer Revision der Lebensprioritäten kommt, wenn also hier eine Umkehr der Herzen gelingt? Werden nicht moralische Maßnahmen zu einer weltpolitischen Größe - oder umgekehrt, rücken nicht in neuer Weise Ökonomie und Politik in die Moral ein?
Christen sind davon überzeugt, daß eine solche moralische Umkehr sich nicht selbst trägt, wenn sie nicht von Religion getragen ist. Sie gehen davon aus, daß, wo Religion nicht nur unter den sogenannten Aufklärungseliten verschwindet, sondern wo sich auch im Volk das Gerücht von der Existenz Gottes nicht mehr hält, die "Seele" des Menschen selbst erlischt und schließlich die Apotheose der Banalität oder des Hasses ausbricht: Der einzelne wird zur Maschine, zu einem neuen Tier oder zur bloßen Strafsache totalitären Zugriffs. Gerade deshalb ist, angesichts der geschilderten Situation, das Christentum mit seinen moralischen Reserven und seiner Fähigkeit zur Umkehr auf den Prüfstand der Geschichte gerufen. Es scheint mir, als wäre heute nichts dringlicher gefragt als die aus einem messianischen Christentum entspringende moralische und politische Phantasie, die nicht einfach die Kopie von bereits in Geltung gesetzten politischen und ökonomischen Strategien wäre."

Johann Baptist Metz, Messianische oder bürgerliche Religion?

Vergessen

"Nachdem der Stammvater des Menschengeschlechtes infolge seiner Schuld aus dem Paradies der Wonne verstoßen war, kam er in dies Elend der Blindheit und Verbannung, das wir erdulden müssen; denn durch die Sünde kam er ganz von sich selbst und konnte die Freuden des himmlischen Vaterlandes, die er vordem geschaut, nun nicht mehr sehen. Der Mensch war nämlich im Paradiese gewohnt, Gottes Wort zu lauschen und reinen Herzens in erhabenen Gesichten mit den heiligen Engeln zu verkehren. Als er aber in dieses Elend herabsank, entfernte er sich auch von dem Lichte der Seele, das ihn bisher erfüllt hatte. Wir, die wir aus seinem Heische in der Finsternis dieser Verbannung geboren sind, haben davon gehört, daß es ein himmlisches Vaterland gibt, haben gehört, daß die Engel Gottes seine Bürger sind; wir haben gehört, daß die Genossen dieser Engel die Seelen der Gerechten und Vollkommenen sind. Die fleischlichen Menschen aber, die diese unsichtbare Welt nicht aus Erfahrung kennen, zweifeln, ob das auch wirklich existiere, was sie mit ihren leiblichen Augen nicht sehen können. Dieser Zweifel konnte bei unserem Stammvater nicht vorhanden sein, weil er nach seiner Vertreibung aus dem Paradiese die verlorene Seligkeit im Gedächtnis behielt, da er sie ja geschaut hatte. Jene aber können sie sich, wenn sie davon hören, nicht vorstellen und sich nicht daran erinnern, weil sie nicht wie Adam wenigstens in der Vergangenheit die Seligkeit gekostet haben."

Gregor der Große, Dialogi, 4,1

Montag, 15. Oktober 2012

Versöhnte Welt - mundus reconciliatus



Was ist oder was könnte eine „versöhnte Welt“ sein? Ist eine solche möglich? Eröffnet sich die Vorstellung einer solchen vergegenwärtigten Versöhnung? Wäre sie real möglich? 

Alle diese Fragen gehen aber schon aus von so etwas wie einem Zustand der „Unversöhntheit“ der Welt oder von einem Zustand, der als solcher festgestellt oder bezeichnet werden könnte, der aber vielleicht nichts anderes als Naturgegebenheit, Geschick oder pure Faktizität des Ungünstigen und Faliblen ist. 

Gibt es aber nicht auch zugleich eine tiefe Erwartung, Erhoffnung und Sehnsucht nach der und der Versöhnung in und der Welt? Braucht auf jene gerade eingebrachten Einwände, ob es denn überhaupt so etwas wie eine Unversöhntheit der Welt gebe, eingegangen zu werden? Entstammen sie nicht nur letztlich teillegitimen und abkünftigen Bereiche einer abstrakten und zergliedernden Intellektualität und dann auch Unnatürlichkeit, welche nicht DIE Wirklichkeit als solche im Blick behalten. Und ist nicht ein wirklicher „herzzentrierter“ und gemitteter und wesentlicher Blick und sein Fragen, das die eigentliche ursprüngliche lebensweise Ursprünglichkeit besitzt und behält, derjenige Blick, der die gesamte Wirklichkeit im Visier behält und aushält und der dann auch ganz selbstverständlich von jener Unversöhntheit der Welt weiß und sie vernimmt und sich ihr als die eigentliche Lebensweisheit stellt und sie zu untersuchen versucht, um sie vielleicht auch ihrer Lösung zuzuführen oder um sie dorthin zu führen und auf die Weise auszulegen und aufzuschießen, dass sie an Quellen anschlüssig wird, welche sie in eine Aufhebungs-, Lösungs- und Heilungsbewegung bringen? Diese „ursprüngliche Weisheit und ihr Blick“ ist, das muß vorausgehend festgelegt werden, keine eigentlich nur „natürliche  Intuitivität“ (und d.h. nicht ernstnehmbare unreflexe, vorwissenschaftliche Vermeintlichkeit). Sie ist auch kein Überwissen. Sie ist nicht ursprünglich und gemittet im Sinne von naiv, primitiv und unentfaltet. Nein, sie ist der Ausdruck für jene „lebensmäßige“ und d.h. -gesättigte Fülle der Versammlung und Ermöglichung jeglicher Verständigkeit, Absichtlichkeit und Wahrnehmbarkeit, für jenen Zugriff, Eingriff und jede Wahl. Sie ist jenes, was die Griechen ursprünglich nous nannten. Das Vernehmen. Vernehmen im vollumfänglichen und zugleich bestimmtesten Sinne des Wortes. Sie ist die eröffnete Sicht der adäquaten Methode der Vernehmung und Behandlung von Lebens- und Wirklichkeitsverhältnissen wie solchen, um die es hier geht und damit der Bestimmungsmodus der Erkenntnis jeglicher rein verstandesmäßigen Abkünftigkeit, Vorläufigkeit oder Ausdifferenzierung und Zersetztheit. In diesem Sinne ist sie dann auch die höchste mögliche, ja die optimale natürliche Erkenntnisfähigkeit und -vermögen. Sie ist das, worum es Platon in seinem logos des nous ging, welcher wirklichkeitserschließend ist und was das bei Hegel die absolute Vernunft der Wirklichkeit wird und Wirklichkeit als Vernunft, eingelegte Idee ohne ihre monistische Überspannung und Anmassung mitvollziehen zu müssen, welche sie dann eh vor sich aufheben und zerstören müsste und würde. 

In diesem Sinne ist Unversöhntheit dann wahrnehmbar in einem ganz eminenten und ursprünglichen Sinne. Sie wird einer Hinwendung und Aufmerkung vernehmbar als eine Wunde, ein Riß und ein Geschwürgebilde der Welt. Dies sind, wie gesagt, keine unelaborierten vorreflexen, primitiven und inadäquaten Bilder oder Verstandesbilder für eine transzendente Wirklichkeit. Nein sie sind ihre eigentlichen und Auf-den-Punkt-Bringungen und Erfassungen. In ihnen ist das Verhältnis der einzufangenen Wirklichkeit des Phänomens adäquat erfasst und (noch dazu) anschaulich bezeichnet. 

Muss und soll über diese, solchermaßen wahrgenommene und d.h. vernommene, Unversöhntheit (und Verderbtheit) auslegend und analysierend etwas gesagt und gearbeitet werden? Gibt es nicht hinreichende Auslegungen und Analysen dieses Verhältnisses, die teils bis ins Wurzelhafte seiner gehen, um ihn vollkommen bloßzulegen? Ist eine andere als eine schweigend-vernehmende und so sich entsetzende Haltung und Vernehmung einer solchen Tragödie des Vernommenen und der Vernehmung überhaupt angemessen? Kann je mehr gesagt werden als in diesem überaus wissendem, verstehendem und mitleidenden und trotzdem aushaltenden Zustand und Modus der schlichten Ver- und Annahme?

Wird aber diese Zuständlichkeit der Welt überhaupt hinreichend wahrgenommen, um somit erneut zu einem Modus eines der ersten Einwände zu kommen. Sei es in Verdrängung, Verschweigung, Angewöhnung, Für natürlich Haltung oder auch in schlichter absetzender Empörung äußern sich Modi der Abschiebung jenes Zustandes in seiner Ganzheit und eben auch lebensmäßigen Wuchtigkeit und Materialität. Verstellen nicht solche Vernebelungen die Möglichkeit seiner Realisierung und dann auch möglichen Verwandlung? Von hieraus wird, wie mir scheint, dann doch kurz notwendig wenigstens wesentliche Grundstrukturen des Unversöhntheitsmodus auszusprechen oder zu vergegenwärtigen: Es ist einerseits eine allgemeine und einfache Art einer grundsätzlichen, typologischen und allgemeinen Antagonalität (auch des Gleichen oder des Selben eben!). Andererseits scheint mir eine zweite Dimensionalität oder Komponente der allg. Unvesöhnheit eine zu sein, die in der modernen Zeit wenig oder überhaupt keine Beachtung findet, die aber als die sogar grundbestimmende und wesentlichere erkannt werden könnte: nämlich die der trans-immanenten Unversöhntheit oder Unstimmigkeit, wie ich diesen Komplex nennen möchte. Es handelt sich hier, so könnte man auch sagen, um eine grundsätzliche und grundlegende Unstimmigkeit oder Irritation des Bedingungs-Bedingten-Verhältnisses, des Ursprungs-Abkunfts-Verhältnisses, des Schöpfungs- und Geschöpflichkeits-Verhältnisses (bei welchem nicht mehr ausgemacht ist, ob es Zustand „normaler und allgemeingültiger“ Betrachtung oder Kategorialität überhaupt sein kann und somit (für diesen Bereich) überhaupt besteht.) Das eigentliche gesamte Unversöhntheitsverhältnis ist aber dann in seiner Gesamtheit ein komplexes, kreuzweises und kreuzigendes Verhältnis aus diesen zwei Komponenten, Dimensionalität und Ebenen, welche in ihrer (häufig ausschlußhaften) Wechselergänzung das eigentlich „schwierige“ Wesen der Unversöhntheit ergeben.
Wenn wir das wissen und wenn wir annehmen, bzw. unausweichlich hinzunehmen müssen, dass wir letztlich in ihren obersten und dann auch bestimmendsten Bereichen in einer Welt des Bewußtseins und des freien Willensentscheidungsvermögens also des bewußten Entscheidungsvermögens leben, dann ist klar, dass Unversöhntheit aus sich und rein für sich betrachtet als solche nicht möglichkeiten und Modi ihrer Aufhebung und Lösung hat. Eine Unversöhntheit ist wesentlich durch ihre intrinsische Resonanzverstärkung und d.h. Ultimatisierung und d.h. Verabsolutierung bestimmt. 

Dies aber bedeutet nicht, dass es trotz einer solchen, ich möchte sagen faktizistisch-technischen-immanenten Unmöglichkeit der Auflösung, vielmehr der Prädestination der Vernichtung und Unauflöslichkeit, nicht gerade neben diesen und durch diese eine autonome Dimensionalität gibt, welche gerade im direktproportionalen Modus ihrer Intensivierung und Verwirklichung eine Offenheit und Herbeiwendung einleitet und auslöst, welche zu einer echten Hilfsmöglichkeit und auch Auflösung verhelfen und welche sie eben als Versöhnung herstellen, als versöhnte Welt eben aufgängig machen kann. 

Die plötzliche mögliche Hoffnungs- und Sehnsuchtseröffnung gerade innerhalb einer völlig aussichtslos scheinenden Verklintschung und d.h. eben festgefahrenen Unversöhntheit ist der Abhebungshorizont vor und in welchem jene Verschränkung allererst disanziert und instrumentalisiert und so möglicherweise auch anverwandelt, aufgelöst und eben versöhnt werden kann. 

Wichtig scheint auch zu sein, da wir uns ja eben in auch personalen und letztlich personalen Unversöhnungsverhältnissen der Welt bewegen (Wir sind immer unversöhnt! Nicht eine allgemeine, vorlgängige, naturale „Welt“.), festzustellen, dass die Beschaffenheit jener sich abhebenden Horizontalität der Hoffnungs- und Sehnsuchtseröffnung als Abhebung schon dann aber auch letztlich personal beschaffen sein muss, wenn sie eine Relevanz haben und behalten soll für die personal Unversöhnten. Und weil sie nicht das Selbst der Unversöhnten selbst sein kann, die ja eben unversöhnt sind, muss es das Selbst des Ganz anderen sein, welches dann auch von sich aus in dieses Unversöhnungsverhältnis hineinkommen muss und gekommen sein muss, um zu versöhnen. Dieses absolute und letzte, versöhnende und versöhnungsermöglichende Instanz wird aber eben innersystemisch, wie jener neue Horizont, ein Ersehntes, Gewünschtes, Erträumtes, aber letztlich doch nicht Vorhandenes und Irreales, Eingebildetes und deshalb Verleugenbares sein und bleiben müssen. Es wird diese sehnsuchtsbestimmte leere morphogenetische Form sein und bleiben müssen, welche das System prägt, die aber auch immer wird ausgefüllt werden müssen, um Realität, reale Versöhnungseröffnung und dann auch reale und echte Versöhntheit zu sein: versöhnte Welt eben. 

An dieser Stelle möchte ich mit dieser Auseinandersetzung des „Unversöhnungs-Auflösungs-Verhältnisses“ (von Seiten der Unversöhnung und der Welt) halten. Sie ist sowieso zu weit reingegangen, was sie nicht wollte. Der Titel des Textes lautet ja „versöhnte Welt“. Es war jedoch nötig in die Beschaffenheit und auf die Beschaffenheit dieser Unversöhnung der Welt sich einzulassen, sie soz. als solchen leibhaftig zu vergegenwärtigen. Gleichzeitig wurde dabei eine Schicht und Komponente dieses Fleisches der Unversöhnung deutlich, die sich als die morphogenetisch leere Form der Sehnsucht (der Unversöhnungsüberwindung) erzeigt hat, welche auch an jener Unversöhntheit, soz. als ihre Phantombestimmtheit ist. 

Aus welchem Zusammenhang stammt aber die Rede von der „versöhnten Welt“? Die Wendung, um es direkt zu sagen, ist eine Wendung des Hl. Augustinus, welche der Hl. Augustinus als der am meisten von der Welt kommende und der am meisten einflußreiche westliche Kirchenlehrer als mundus reconciliatus für die Kirche als solche gefunden und geprägt hat. Die Wendung ist an sich keine Nominalbezeichnung. Sie bezeichnet vielmehr oder ist die Beschreibung oder Erfassung des Gesehenen und wesentlich Bestimmenden der Kirche: Sie ist in irgendeiner Weise (auch und vor allem im Verhältnis und d.h. im ständigen Vergleich) die „versöhnte“ Welt. In ihr findet sich die Welt (das an ihr offenkundig Unversöhnte und Unheile und dann auch Offensichtliche) versöhnt. Augustinus benennt aber gerade die Kirche nicht „als etwas anderes“ der Welt. Die Kirche ist der mundus, der rekonziliiert ist. Sie ist die Welt, die versöhnt ist. Sie ist die Welt im Modus der Versöhntheit. Wie das? Und wie schrecklich für die Welt. Oder doch nicht? Eigentlich nicht! Denn es ist ja die versöhnte Welt. Wohl ist der Augustinus der erste gewesen, der die beiden Welten im wahrsten Sinne des Wortes (in seiner Civitas) auseinandergelegt hat. Auf eine gefahrvoll manichäistische Art hat er zwei Ursprünge und damit scheinbar zwei eigenständige Substanzialitäten letztlich aus dem Welt- und dem Gottesstaat gemacht und hat es nicht geschafft, wie es seiner Lehre vom Wesen des Bösen adäquat und analog gewesen wäre, sie als eine Devianz des Einen aufgängig zu machen, so dass der Weltstaat hätte als ein defizienter Modus der Civitas Dei offenkundig und präsent werden müssen, welcher immer nur als Nicht-Sein des Optimus der reinen Civitas ist. Wie dem auch sei, die Bezeichnung mundus reconciliatus soll für sich genügen, jene selbstdifferente Selbigkeit des Versöhnten und Unversöhnten präsent bleiben zu lassen, um an ihr in das Wesen jener Versöhnung, um die es eigentlich geht, zu gelangen. 

Wie ist eine Versöhnung der Welt möglich und ist sie möglich? 

Die wenigen kleinen Bemerkungen und Überlegungen sollten offensichtlich gemacht haben, inwiefern die Welt, um der Möglichkeit einer grundsätzlichen Lösung ihres noch grundlegenderen Unversöhntheitsverhältnisses der Eröffnung der Möglichkeit einer Offenbarung und Offenbartheit des Angebotes, der Möglichkeit und dann auch vielleicht auch Wirklichkeit ihrer Versöhnung bedarf, einer die den oben herausgestellten Kriterien genügt, die ihnen angemessen entgegenkommt und auch in der Hinwendung der Unversöhntheit der Welt gerade im Modus und Zustand ihrer Unversöhntheit in der Hinwendung des Blickes zu deren historischer Vorhandenheit oder Möglichkeit ausfindig und bereitgestellt finden kann. 

Der Versöhnung hängt wesentlich mit der Öffnung für diese Annahme zusammen. Nicht von ungefähr bezeichnet das deutsche Wort Versöhnung den Sohn, welcher dann in jener Offenbarung als jener personale Mittler entgegenkommt des allgemeinen Versöhnungsgrundes und Horizontes  (als der Hervorbringer des Ganzen .. Versöhnten und Heilen..), welcher in der Macht des Heiligen Geistes, des Geistes der Versöhnung eben, einzig in der Lage ist und sein wird (wie immanent-struktural gesehen wurde und werden kann), jene Versöhnung dann zu vollbringen und Wirklichkeit werden oder geworden sein zu lassen. 
In diesem Sinn wird dann versöhnte Welt und Versöhnung der Welt: Kirche. 

Mittwoch, 10. Oktober 2012

Ängstliche Blindheit


SINN, SCHÖNHEIT & VERNUNFT

"Eine zweite Überlegung bezieht sich nun nicht mehr auf das pure Dass des Seins. Sie betrachtet sozusagen das Design der Welt; das Modell, in dem sie gebaut ist. Aus jenem »Es werde« ging ja nicht ein chaotischer Brei hervor. Je mehr wir von der Welt erkennen, desto größer tritt uns aus ihr eine Vernunft entgegen, deren Wege wir nur staunend nachdenken können. Durch 
sie hindurch sehen wir ganz neu jenen Schöpfergeist, dem auch unsere eigene Vernunft sich verdankt. Albert Einstein hat einmal gesagt, dass sich in der Naturgesetzlichkeit »eine so überlegene Vernunft offenbart, dass alles Sinnvolle menschlichen Denkens und Anordnens dagegen ein gänzlich nichtiger Abglanz ist«6. Wir erkennen, wie im Allergrößten, in der Welt der Gestirne sich eine machtvolle Vernunft offenbart, die das All zusammenhält. Immer mehr lernen wir aber auch, in das Allerkleinste, in die Zelle, in die Ureinheiten des Lebendigen hineinzuschauen; auch hier entdecken wir eine Vernünftigkeit, die uns staunen lässt, so dass wir mit dem heiligen Bonaventura sagen müssen: »Wer hier nicht sieht, ist blind. Wer hier nicht hört, ist taub, und wer hier nicht anfängt anzubeten und den Schöpfergeist zu lobpreisen, der ist stumm.« Jacques Monod, der jede Weise von Gottesglaube als unwissenschaftlich ablehnte und die ganze Welt auf das Zusammenspiel von Zufall und Notwendigkeit zurückführt, erzählt in dem Werk, in dem er diese seine Sicht der Welt zusammenfassend darzustellen und zu begründen versucht, dass nach den Vorträgen, die dann zum Buche wurden, Francois Mauriac gesagt habe: »Was dieser Professor sagt, ist noch viel unglaublicher, als das, was wir armen Christen glauben.« Monod bestreitet nicht, dass es so ist. Seine These lautet, das ganze Konzert der Natur steige aus Irrtümern und Misstönen auf. Er kann nicht umhin, selber zu sagen, dass eine solche Auffassung eigentlich absurd ist. Aber die wissenschaftliche Methode — so sagt er — zwingt dazu, eine Frage nicht zuzulassen, auf die die Antwort »Gott« heißen müsste. Welch armselige Methode — kann man da nur sagen. Durch die Vernunft der Schöpfung blickt uns Gott selber an. Physik und Biologie, die Naturwissenschaften überhaupt, haben uns einen neuen, unerhörten Schöpfungsbericht geliefert mit großen, neuen Bildern, die uns das Angesicht des Schöpfers erkennen und uns von neuem wissen lassen: Ja, am Urbeginn und Grund allen Seins steht der Schöpfergeist. Die Welt ist nicht ein Produkt des Dunkels und des Sinnlosen. Sie kommt aus Verstehen; sie kommt aus Freiheit, und sie kommt aus Schönheit, die Liebe ist. Dies zu sehen gibt uns den Mut, der uns leben lässt; der uns ermächtigt, getrost das Abenteuer des Lebens auf uns zu nehmen."

aus Joseph Ratzinger, Im Anfang schuf Gott.. Über Schöpfung und Fall

Grund und Boden


"Aus der Möglichkeit des Eigentums und den daraus ermöglichten Rechtskonstrukten der Verpfändung und der Belastung eines Eigentums oder Vermögens leiten Heinsohn/Steiger schließlich die Entstehung des Geldes ab. Sie unterscheiden Gesellschaften danach, ob sie das Eigentum als Rechtsinstitution kennen. Gesellschaften ohne (privates) Eigentum, die sie Besitzsysteme nennen, sind in ihrer Kategorisierung demnach die Stammesgesellschaften, der Feudalismus und der Sozialismus. Eigentumsgesellschaften sind dagegen die antiken Stadtstaaten Mesopotamiens, Griechenlands und Rom sowie der Kapitalismus. Diese Eigentumsgesellschaften sind immer, so die Autoren, durch politisches Handeln, durch Revolutionen der vordem Leibeigenen oder Knechte (Hvhg. durch mich) geschaffen worden, nicht jedoch aus den Besitzsystemen organisch gewachsen. Klassisches Beispiel ist ihnen der Gründungsmythos Roms, wonach Romulus und Remus ihren adeligen Stiefvater Ämilius totschlagen, Romulus sodann dessen Land in gleich große Parzellen teilt und sie unter seinen Mitstreitern verlost. In diesem Moment sei Eigentum gesetzt worden, es sei aus dem Besitzsystem, in dem alle unter der Regie des Herrschers gemeinsam arbeiten und nach dessen Gutdünken an den Früchten der Arbeit teilhaben, die Eigentumsgesellschaft geschaffen worden. Klar wird an diesem Beispiel auch, dass Heinsohn/Steiger vor allem über das Grundeigentum reden. Plausibel wird die damit einhergehende Geschichtsinterpretation auch dadurch, dass die Verfügungsgewalt über den Grund und Boden der zentrale Punkt der Auseinandersetzung in allen gesellschaftlichen Konflikten und Kriegen war."


Lucas Zeise in seinem Buch "Geld - der vertrackte Kern des Kapitalismus"
über Gunnar Heinsohns/Otto Steigers Eigentumstheorie des Geldes

Sonntag, 30. September 2012

Der Selbsterweis des Unendlichen und das Problem des Unglaubens

"Das "quo maius cogitari nequit" ("das worüber Größeres nicht gedacht werden kann") war immer schon da im Denken, wenn auch zumeist und zunächst unbemerkt. Es selbst erweist sich als das "Größte", es setzt sich durch in der nie beendbaren Unruhe unseres Fragens, und am Ende in der Eröffnung des Abgrundes, der alles trägt und entscheidet und der, obwohl er zuerst als "Nichts" erscheint, die Wirklichkeit aller Wirklichkeit ist. Der "Beweis" fängt wesentlich nicht irgendwo an, mag er auch empirisch beliebig einsetzen. Er fängt vielmehr wesentlich mit seinem Resultat an, dieses ist es, was schon bei seinen ersten tastenden Schritten im Denken arbeitete, dieses leitete und trieb und ihm keine Ruhe ließ, bis es sich selber in der befremdlichen Gestalt des Nichts zeigte. Dies wird also nicht aus irgendeinem Seienden heraus bewiesen, es erweist sich vielmehr selber und durch sich selber im Denken als das Ungeheuere und Unendliche, das zugleich und im selben Zuge des Sich-Durchsetzens als das absolut Wirkliche, nämlich als das alle Wirklichkeit Tragende erscheint...

Wenn es aber so ist, daß sich das ewige Geheimnis selber anzeigt in unserem endlichen Gedanken, dann wird das Faktum des tatsächlich verbreiteten Unglaubens zu einem Problem. Wenn das Absolute von Anfang an und von sich aus das Denken in Anspruch nimmt und sich schließlich in ihm durchsetzt, wieso gibt es dann viele Menschen, die nicht an das Unbedingte glauben? Der Unglaube ist dann ein dringenderes Problem als der Glaube. Wir stellen es für den Augenblick zurück, um später wieder darauf zurückzukommen."

Bernhard Welte, Religionsphilosophie, Das ontologische Argument des Anselm von Canterbury

Samstag, 15. September 2012

differencia mundi

"Wenn dir Körper gefallen, lobe Gott um ihretwillen und kehre deine Liebe dem, der sie kunstvoll gestaltete, zu, damit du nicht in dem, was dir gefällt, mißfällst! Wenn dir Seelen gefallen, sollen sie in Gott geliebt werden, weil auch sie veränderlich sind und nur als solche, die in ihm wurzeln, festen Bestand haben; sonst wäre ihr Los: gehen und vergehen. In ihm sollen sie also geliebt werden; zu ihm zieh mit dir, so viele du kannst, und sag ihnen: Laßt uns ihn lieben! Er machte dies hier und ist nicht fern. Denn nicht machte er es und entfernte sich dann, sondern das, was von ihm stammt, ist in ihm. Sieh, wo er ist: Er ist dort, wo es nach Wahrheit schmeckt. Er wohnt ganz drin im Herzen, aber das Herz irrte von ihm ab. Kehrt zum Herzen zurück, ihr Abtrünnigen, und seid dem treu ergeben, der euch gemacht hat! Vertraut fest auf ihn, und ihr werdet festen Bestand haben, sucht in ihm Ruhe, und ihr werdet Ruhe finden! Wozu schreitet ihr ins Ungemach? Wozu? Das Gute, das ihr liebt, stammt von ihm. Aber gut und angenehm ist es nur, sofern es bei ihm ist; sonst wird es bitter sein, und zwar mit Recht, denn es ist ein Unrecht, all das, was von ihm stammt, zu lieben, obwohl man ihn verlassen hat. Wozu immer weiter beschwerliche und mühevolle Wege gehen? Wo ihr die Ruhe sucht, gibt es keine. Sucht denn, was ihr sucht! Doch dort, wo ihr es sucht, ist es nicht. Ihr sucht das glückselige Leben im Bereich des Todes: Das ist es nicht. Wie sollte es denn dort ein glückseliges Leben geben, wo es nicht einmal Leben gibt?"

Hl. Augustinus, Bekenntnisse, 4. Buch, VII

Vernünftige Methoden

"Eine zweite Überlegung bezieht sich nun nicht mehr auf das pure Dass des Seins. Sie betrachtet sozusagen das Design der Welt; das Modell, in dem sie gebaut ist. Aus jenem »Es werde« ging ja nicht ein chaotischer Brei hervor. Je mehr wir von der Welt erkennen, desto größer tritt uns aus ihr eine Vernunft entgegen, deren Wege wir nur staunend nachdenken können. Durch sie hindurch sehen wir ganz neu jenen Schöpfergeist, dem auch unsere eigene Vernunft sich verdankt. Albert Einstein hat einmal gesagt, dass sich in der Naturgesetzlichkeit »eine so überlegene Vernunft offenbart, dass alles Sinnvolle menschlichen Denkens und Anordnens dagegen ein gänzlich nichtiger Abglanz ist«. Wir erkennen, wie im Allergrößten, in der Welt der Gestirne sich eine machtvolle Vernunft offenbart, die das All zusammenhält. Immer mehr lernen wir aber auch, in das Allerkleinste, in die Zelle, in die Ureinheiten des Lebendigen hineinzuschauen; auch hier entdecken wir eine Vernünftigkeit, die uns staunen lässt, so dass wir mit dem heiligen Bonaventura sagen müssen: »Wer hier nicht sieht, ist blind. Wer hier nicht hört, ist taub, und wer hier nicht anfängt anzubeten und den Schöpfergeist zu lobpreisen, der ist stumm.« Jacques Monod, der jede Weise von Gottesglaube als unwissenschaftlich ablehnte und die ganze Welt auf das Zusammenspiel von Zufall und Notwendigkeit zurückführt, erzählt in dem Werk, in dem er diese seine Sicht der Welt zusammenfassend darzustellen und zu begründen versucht, dass nach den Vorträgen, die dann zum Buche wurden, Francois Mauriac gesagt habe: »Was dieser Professor sagt, ist noch viel unglaublicher, als das, was wir armen Christen glauben.« Monod bestreitet nicht, dass es so ist. Seine These lautet, das ganze Konzert der Natur steige aus Irrtümern und Misstönen auf. Er kann nicht umhin, selber zu sagen, dass eine solche Auffassung eigentlich absurd ist. Aber die wissenschaftliche Methode — so sagt er — zwingt dazu, eine Frage nicht zuzulassen, auf die die Antwort »Gott« heißen müsste. Welch armselige Methode kann man da nur sagen. Durch die Vernunft der Schöpfung blickt uns Gott selber an. Physik und Biologie, die Naturwissenschaften überhaupt, haben uns einen neuen, unerhörten Schöpfungsbericht geliefert mit großen, neuen Bildern, die uns das Angesicht des Schöpfers erkennen und uns von neuem wissen lassen: Ja, am Urbeginn und Grund allen Seins steht der Schöpfergeist. Die Welt ist nicht ein Produkt des Dunkels und des Sinnlosen. Sie kommt aus Verstehen; sie kommt aus Freiheit, und sie kommt aus Schönheit, die Liebe ist. Dies zu sehen gibt uns den Mut, der uns leben lässt; der uns ermächtigt, getrost das Abenteuer des Lebens auf uns zu nehmen."

Joseph Ratzinger, Im Anfang schuf Gott.. Über Schöpfung und Fall, 4 Fastenpredigten, Predigt 2

Freitag, 14. September 2012

Versammlung der Welt : Katholizität

Das folgende ist ein Auszug aus dem großartigen und grundlegenden Buch Catholicisme. Les aspects sociaux du dogme aus dem Jahr 1938 von Pater Henri de Lubac SJ zu einer Wiederholung der Katholizität des Katholischen als dem einzigen Grund und der einzigen wirklich heilen und aufgängigen Möglichkeit der Einigung und des Aufgangs der Welt.
Er ist zugleich auch eine wirkliche Vergegenwärtigung dessen, was das Katholische in seiner ganzen Eindeutigkeit, aber auch eben Umfassendheit und Ganzheitlichkeit ist und sein soll.

"Wie dringlich aber wird eine solche Bemühung um Verständnis dort, wo es sich um Kulturerscheinungen handelt, deren Hauptfehler manchmal nur darin liegt, daß sie uns nicht geläufig sind! Die Geschichte der Missionen bietet uns dafür manch erfreuliche Beispiele, deren Lehren noch nicht ausgeschöpft sind. Wie groß aber ist hier der Unterschied zwischen unserem großen klassischen und dem letzten Jahrhundert! Dieses, das Zeitalter der europäischen Expansionspolitik, war nur zu oft auch ein Jahrhundert barbarischer Verblendung, und niemals war unter uns das „allgemeine Vorurteil, daß die Sonne das Abendland mit ihrer ganzen Scheibe erleuchtet, auf den Rest der Welt aber nur den Abfall ihrer Strahlen sinken läßt“, mehr in Umlauf. Die Begründer unserer wisschenschaftlichen Kultur ergingen sich noch nich tin der hochmütigen Verschrobenheit derer, die ihre Früchte ernteten. Es wäre heute an der Zeit, sich zu besinnen, wie ungerecht uns der Stolz auf unsere Machinen und unsere Waffen gegen die anderen Völker gemacht hat, wie sehr die engen Gesichtspunkte einer Erziehung, die uns die einzige menschliche Kultur zu vermitteln vorgab, uns den Sinn für das Schöne, das Menschen anderer Zonen schufen, verschlossen hat. - Aber die Kirche, die von unseren Fehlern nicht befleckt wird, wird auch durch unsere Begrenztheit nicht eingeengt, durch unsere vorgefaßten Meinungen nicht verhärtet. Ihr Trachten, die gesamte menschliche Familie zu sammeln, hat mit unseren zweideutigen Absichten nichts gemein. Als Gesandtin der Nächstenliebe bekennt sie sich zu keinerlei zivilisatorischem Imperialismus. Was sich auch heute auf der Oberfläche der Erde zusammenbrauen mag, sie weiß, daß die Kulturen etwas ursprünglich Eigenes besitzen wie persönliche Wesen, daß sie unumstößlich verschieden sind. Wohl können sich alle Länder, eines ums andere, europäisch aufputzen. Die Verfahren der Großindustrie ebenso wie die politischen Formen des Abendlandes können sich überall hin verbreiten. Diese scheinbare Gleichschaltung wird aber nicht hindern, daß einige große Typen geistigen Erlebens im weitesten Sinn des Wortes bestehen bleiben, die nicht auf rein logischem Wege versöhnbar sind; und es bleibt nun die Sendung der Kirche, durch die ihr anvertraute übernatürliche Offenbarung jeden von ihnen zu reinigen und zu beleben, zu vertiefen und zu seinem wahren Ziele zu führen. Darin besteht schlechthin ihre universale Sendung, auf welche die Kirche nicht verzichten kann, um sich in den Dienst der einen oder der anderen Kulturform zu stellen.
Dies ist für sie nicht nur Sache der Gerechtigkeit. Denn abgesehen davon, daß keinem menschliechen Erfolg ewige Dauer verheißen ist, weiß sie doch: um den göttlichen Schatz, dessen Verwahrerin sie ist, auszuwerten, müssen alle Rasse, alle Jahrhunderte, alle Kulturzentren ihren Teil beitragen: ex toto mundo totus mundus eligitur (Prosper). Sie ist wie ein Schatzhaus, „wo Altes und Neues ausgegeben wird, und wo man das Gold neuer Tributzahler zur Verfeinerung einschmilzt.“. Achtsam auf die Fügungen der Vorsehung, die ihr zur ersten Entwicklung die Hilfsquellen Griechenlands und Roms bereitgestellt hatte, im Bewußtsein auch, daß in dieser Begegnung sich etwas Endgültiges vollzogen hat, teilt sie dennoch nicht den Irttum einiger ihrer Kinder, für die die Aufgabe heute schon beendet ist. Das Wunder der Vergangenheit soll sich erneuern, und so glaubt sie vielmehr na neue Fügungen zugunsten neuer Entfaltung. Noch in Stunden brutaler Kämpfe hält sie, und wär´s durch das bescheidene ihrer Mitglieder, die Hoffnung aufrecht, und in der Stille des Gebetes und Studiums wird neue Assimilation vorbereitet. Die Verchristlichung des Aristoteles druch ein paar Predigerbrüder ist kein vereinzelter Fall. Im übrigen hat ihre eigene Geschichte sie auch noch um eine andere Erfahrung bereichert; sie bewahrt ein allzu schmerzliches Bewußtsein von jenen Verarmungen, mit denen die großen Spaltungen bezahlt werden mußten, um nicht dafür einen Ausgleich zu wünschen. Und warum sollte sie die geschmeidige und starke Einheit ihrer Struktur mit einer trüben Gleichförmigkeit vertauschen wollen? Warum sollte sie „der aufgehenden Sonne die Farben der untergehenden“ leihen? Gerade als die einzige arche des Heils muß sie in ihrem großen Schiff die ganze Vielgestalt des All-Menschlichen bergen. Gerade als der einzige Festsaal des großen Gastmahls müssen in ihr die Speisen der gesamten Schöpfung aufgetragen werden. Als Christi „nahtloser Rock“ ist sie auch und zugleich Josephs „buntfarbiger Rock“. „Als Band der unauflöslichen Eintracht und des vollkommenen Zusammenhanges“ will sie eine reiche und dichte Garbe binden. Sie weiß, daß die Mannigfaltigkeit der Sitten, die sie heiligt, „die Einmütigkeit des Glaubens stärkt“, daß diese sichtbare Katholizität der normale Ausdruck ihres inneren Reichtums ist und daß ihre Schönheit in der Vielfalt leuchtet: circumdata varietate.
Sie ist die katholische Kirche: nicht die lateinische, nicht die griechische, sondern die allgemeine. Sie sagt noch immer wie zur Zeit Augustins: „Ego in omnibus linguis sum; mea est graeca, mea est syra, mea est hebraea, mea est omnium gentium, quia in unitate sum omnium gentium.“ (In psalm. 147, n. 19)Nichts wirklich Menschliches, woher es auch stamme, darf ihr fremd bleiben. „Das Erbteil aller Völker ist ihre unveräußerliche Mitgift.“ Als der Ort der Begegnung aller Sehnsüchte der Menschen und aller Wünsche Gottes will sie, indem sie allüberall den Menschen seine Pflicht lehrt, zugleich und darüber hinaus die Hoffnungen und Strebungen aller Seelen und Zeiten erfüllen. Alles sammeln, um alles zu weihen, alles zu retten. „Wer du auch seist“, sagt die Kapelle auf der Wiese, „nichts ist in dir so erhaben, daß es dirch hinderte, meine Hilfe anzunehmen.“ Um so weniger gibt es etwas Erhabenes, das der Katholizismus nicht bereitwillig für sich in Anspruch nähme. Im Katholizismus eine Religion neben anderen, eien Lehre neben anderen sehen, hieße, selbst wenn man hinzufügt, daß er die einzig wahre Religion, die einzig wirksame Zucht ist, sich über sein Wesen täuschen oder zumindest an seinem Äußeren haftenbleiben. Der Katholizimus ist die Religion. Er ist die Form, die die Menschheit annehmen soll, um endlich sie selbst zu werden. Er ist die einzige Wirklichkeit, die, um zu sein, es nicht nötig hat, sich entgegenzusetzen, also alles andere als eine „geschlossene Gesellschaft“. Ewig und seiner selbst sicher wie sein Gründer, hindert ihn gerade die Unduldsamkeit seiner Grundsätze nicht bloß, sich in vergängliche Werte hinein zu verlieren, sie sichert ihm zugleich eine unendlich umfassende Geschmeidigkeit, ganz im Gegensatz zu der Ausschließlichkeit und Steifheit, die den Sektengeist kennzeichnet. Omnis gens secundum suam patriam in Ecclesia psallit Auctori (Hrabanus Maurus, De Universo, lib. 22, c. 3). Die Kirche ist überall zu Hause, und jeder soll sich in der Kirche zu Hause fühlen können. So trägt der auferstandene Herr, wenn er sich seienn Freunden kundtut, das Gesicht aller Rassen, und jeder hört ihn in seiner eigenen Sprache..“

Henri de Lubac, Catholicisme. Les aspects sociaux du dogme, 1938
(deutsche Ausgabe Glauben aus der Liebe, Einsiedeln, 258-263)

Montag, 13. August 2012

Vollzug des zweckfreien und sinnvollen Vollzugs des Daseins

Ein sehr schöner Beitrag über die Vollendung der zweckfreien und überaus sinnvollen Verfassung des menschlichen Daseins im Vollzug der Liturgie.


Das leibhafte Spiel. Zur Anthropologie der Liturgie


Ein Vortrag von Prof. Drr. Hanna Barbara Gerl-Falkovitz über Romano Guardinis Wort von der Liturgie als Spiel bei der Fachtagung Liturgie & Psyche des Instituts für Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie der Hochschule Heiligenkreuz



Donnerstag, 9. August 2012

Vernünftige Mündungen


"Wenn nämlich ein Mensch von vornherein weiß, daß er rechnen darf und muß mit einer geschichtlichen Religion, die nur erreichbar ist in der Hinnahme und in der Rückwendung zu einem konkreten raumzeitlichen Hier und Jetzt, die sich nicht auflösen läßt in Vernunftsätze, die nicht einfach das Korrelat eines religiösen Gefühls oder Erlebens oder irgendeiner anderen religiösen Uranlage ist, die schließlich, weil sie gerade als Offenbarung Gottes in menschlicher Geschichtlichkeit kommt, auch all das Zufällige, an sich anders Denkbare und Kritisierbare, Undurchschaubare einer menschlichen historischen Erscheinung hat: wenn jemand mit all dem unbefangen rechnet, ist es für ihn dann schwer, die heilige römisch-katholische Kirche als den Ord der wirklichen Offenbarung des lebendigen Gottes zu erkennen?
Was zunächst diesen Anspruch der Kirche allen nichtchristlichen Religionen gegenüber betrifft, so gehen alle Versuche moderner Religionsgeschichte, die das Christentum zu einer der vielen Phasen und Ausgestaltungen der religiösen Anlage des Menschen einebnen wollen, nicht von einer aposteriorischen Feststellung tatsächlicher Gleichheit zwischen Christentum und anderen Religionen aus, sondern all diese Forschung steht schon von vornherein unter dem mehr oder weniger ausdrücklich ausgesprochenen Apriori, daß es eben keine Offenbarung des lebendigen Gottes an einem bevorzugten Ort menschlicher Geschichte unter Übergehen anderer geben könne und es sich von vornherein nur um das Wie (nicht um das Daß) einer Geschichte aller Religionen handeln könne, in der alle auf den gleichen Nenner zu bringen sind, weil eine "supranaturale" Geschichte einer Religion im Unterschied zu anderen von vornherein nciht in Betracht komme. Was wirklich an Parallelen zwischen Christentum und nichtchristlichen Religionen aposteriorisch festgestellt werden kann, erklärt sich tatsächlich auch ohne Annahme dieses falschen aprioristischen Grundsatzes moderner Religionsgeschichte aus der einfachen Tatsache, daß es sich  hier und dort selbstverständlich um den gleichen Menschen handelt und daß die Erwartung und das Ausschauen des Menschen nach einer wirklichen Offenbarung Gottes dort, wo sie nicht erfüllt ist oder nicht als erfüllt betrachtet wird, von sich aus leicht ähnliche Ersatzbildungen hervortreibt. Wer aber jenes aprioristische Vorurteil nicht teilt und wer von vornherein nicht den Mut zum Absoluten innerhalb des Endlichen aufgegeben hat, für den kann es nicht schwer sein, die wesentliche qualitative Verschiedenheit des Christentums von jeder anderen Religionsbildung festzustellen, die Kirche als das signum elevatum in nationibus zu erkennen, die durch sich selbst schon sich als den Ort der Offenbarung Gottes bezeugt - immer vorausgesetzt, daß man in der Haltung des Rechnens mit einer möglichen geschichtlichen Offenbarung Gottes schon steht. Diese Haltung allerdings ist Voraussetzung dafür, daß man das Christentum in seinem qualitativen Unterschied zu sehen vermag, weil man im anderen Fall in aprioristischer Willkür an die geschichtliche Erscheinung des Christentums Forderungen stellt, die es als Geschichte Gottes, die wesentlich in menschlicher Geschichte und Gestalt kommt, natürlich niemals erfüllen wird.
Was nun aber die Kirche im Verhältnis zu den anderen Gestalten des Christentums angeht, so kommen diese als Antwort auf die menschliche Grenzerfahrung einer Offenbarungserwartung eigentlich schon deswegen nicht in Betracht, weil sie selbst gar nicht mehr den Mut haben (den sie haben müßten), sich exklusiv als den Ort der Offenbarung Gottes schlechthin, und zwar in ihrer eigenen geschichtlichen Einmaligkeit, zu betrachten. Von einer geschichtlichen Offenbarung Gottes kann aber nur dann die Rede sein, wenn die betreffende geschichtliche Erscheinung als solche den Anspruch macht auf das extra ecclesia nulla salus, den Anspruch, als geschichtliche, sichtbare Größe unter Ausschluß jeder anderen der Ort zu sein, an dem der freie Gott einer wirklichen Offenbarung allein adäquat zu erreichen ist, wo Religion als wirklich gelungene Bindung des ganzen Menschen an Gott (was vom Menschen allein aus nie festzustellen ist) tatsächlich vorhanden ist. Wo man diesen Mut nicht mehr hat, wo man sich höchstens noch einen graduellen Vorzug vor anderen christlichen Religionsformen zuschreibt, gibt man die geschichtliche Eindeutigkeit des Wortes Gottes auf und damit den Mut zum Glauben an eine wirkliche geschichtliche Offenbarung Gottes. Kurz: Wer mit der Möglichkeit rechnet, daß ein bestimmtes Stück menschlicher Geschichte mit Ausschluß anderer Gottesgeschichte sein könne, der kann eigentlich nicht mehr anders als im katholischen Sinne offenbarungsgläubig sein und werden. Der Aufweis dieses Rechnenmüssens mit einer solchen Möglichkeit war aber das, worin wir den wesentlichen Kern der christlichen Religionsphilosophie sahen und worin deren wesentlichste Beziehung zur Theologie zu finden ist."

Karl Rahner, Hörer des Wortes, Schluß

Freitag, 3. August 2012

Warum sichtbare Religion notwendig ist - Der Nachvollzug, in jubilo

"Wenn nun deutlicher geworden ist, warum in dieser Verwandlung des bloßen Erkennens in die wissende Liebe die Absolutsetzung des Zufälligen sich so lichtet, daß die Bejahung eines Zufälligen in der wissenden Liebe durch Gott der Gelichtetheit des Seins überhaupt nicht widerstreitet, so ergibt sich nun daraus auch eine Einsicht in den Nachvollzug dieser Bejahung durch den Menschen. Sie ist der Nachvollzug der aus sich lichten schöpferischen Macht der freien Liebe Gottes, die im Grunde seinlassende Liebe zu ihm selber ist."

Karl Rahner, Hörer des Wortes, Der freie Hörende

warum?

"Das Endliche hat - um unsere Überlegungen wieder aufzunehmen - also seinen Grund in der freien, gelichteten Tat Gottes. Die freie, bei-sich-seiende Tat ist aber Liebe. Denn Liebe ist der gelichtete Wille zur Person in ihrer unableitbaren Einmaligkeit. Eben diesen Willen betätigt aber Gott in der Setzung eines endlichen Seienden. Denn er will dabei sich selbst in seiner freien, schöpferischen Macht als dem "Vermögen" der Seinsgabe, in der er selbstlos dem anderen dessen "Seinshabe" gewährt. Das endliche Zufällige ist gelichtet in der freien Liebe Gottes zu sich selbst und darin zu seinem frei gesetzten Werk. Damit erscheint die Liebe als die Leuchte der Erkenntnis des Endlichen und, da wir das Unendliche nur durch das Endliche kennen, auch als das Licht unserer Erkenntnis überhaupt, und die Erkenntnis ist in ihrem letzten Wesen nur die lichte Helle der Liebe. Eine Erkenntnis des Endlichen, die sich nicht in ihrem letzten Wesen als erst in der Liebe zur Erfüllung  ihres eigenen Wesens kommend begreifen will, verwandelt sich in Finsternis. Sie muß das Zufällige zu einem Notwendigen umlügen oder es in absoluter Unbegreiflichkeit, die es nicht geben kann und der die Erkenntnis stets widerspricht, stehenlassen oder das Seiende aus dunklem Drang erklären, in dessen Tiefen kein Licht leuchtet.
Insofern also Gott in der Liebe zu sich frei als die setzende Macht des Endlichen liebt, begreift er liebend das Endliche selbst. In dieser Liebe ist auch das Gesetzte in das Licht des Seins erhoben. Weil und insoweit Gott das Endliche liebt, nimmt es teil an der Gelichtetheit  des Seins. So und nur so. Die Logik kommt nur in der Logik der Liebe zum Begreifen der Seinsfreiheit."

Karl Rahner, Hörer des Wortes, Der freie Hörende

Einbruch Gottes in uns


"Wer erniedrigt den Verstand wirklich?
Jetzt möchte ich erklären, wie die Intuition Gregors von Nyssa uns Gläubigen helfen kann, unseren Glauben zu vertiefen und dem modernen Menschen, der den „fünf Wegen“ der traditionellen Theologie gegenüber skeptisch geworden ist, einen Weg zu zeigen, der ihn Gott wieder näher bringen kann.
Das Neue, das Gregor ins christliche Denken einführte, ist, dass man die Grenzen des Verstandes überschreiten muss, um Gott zu begegnen. Das ist das genaue Gegenteil von Kants Versuch, die Religion „innerhalb der Grenzen der Vernunft“ zu halten. In der heutigen säkularisierten Kultur ist man noch über Kant hinausgegangen: für ihn war im Namen der „praktischen Vernunft“ die Existenz Gottes immerhin noch ein „Postulat“; die späteren Rationalisten leugnen auch dies.
Daher verstehen wir, wie aktuell die Gedanken Gregors von Nyssa sind. Er beweist, dass der Verstand nicht von der Suche nach Gott ausgeschlossen ist; dass man nicht gezwungen ist, zwischen dem Glauben und dem eigenen Verstand eine Wahl zu treffen. Indem der Mensch in die Wolke, also in den Glauben, eintritt, verzichtet er nicht auf seinen Verstand, sondern geht über ihn hinaus, was etwas ganz anderes ist. Er schöpft gewissermaßen seinen Verstand ganz aus und ermöglicht es ihm, seinen edelsten Akt zu vollbringen, denn, wie Pascal sagt: „Der höchste Akt der Vernunft besteht in der Erkenntnis, dass es unendlich viele Dinge gibt, die über sie hinausgehen“.
Der heilige Thomas von Aquin, der zu Recht als einer der unermüdlichsten Streiter für die Rechte des Verstandes gilt, schrieb: „Man sagt, am Ende unserer Erkenntnis erkenne man Gott als den Unbekannten, weil unser Geist seine tiefste Gotteserkenntnis dann erreicht hat, wenn er merkt, dass sein Wesen alles überragt, was man auf Erden begreifen kann“. Im selben Augenblick, in dem der Verstand seine Grenzen erkennt, durchbricht er sie und geht über sie hinaus. Er begreift, dass er nicht begreifen kann, „sieht, dass er nicht sehen kann“, wie Gregor von Nyssa sagt; er sieht aber auch ein, dass ein verstandener Gott kein Gott mehr wäre. Der Verstand ist es, der dies erkennt; daher handelt es sich wirklich um einen Verstandesakt. Es ist buchstäblich eine „belehrte Unwissenheit“.
Daher muss man eher das Gegenteil anerkennen, nämlich, dass jene, die dem Verstand diese Möglichkeit über sich hinauszugehen nicht zugestehen, ihm Grenzen setzen und ihn erniedrigen. „Bisher“, schreibt Kierkegaard, „hat man immer gesagt: ‚Wer behauptet, das oder jenes könne nicht begriffen werden, befriedigt nicht die Wissenschaft, die begreifen will‘. Das ist ein Fehler. Genau das Gegenteil muss man sagen: sollte die menschliche Wissenschaft sich weigern anzuerkennen, dass es Dinge gibt, die sie nicht begreifen kann, oder – deutlicher noch – Dinge, von denen sie deutlich ‚begreift, dass sie sie nicht begreifen kann‘, dann gerät alles durcheinander. Es ist daher eine Aufgabe der menschlichen Erkenntnis, einzusehen, dass es Dinge gibt, die sie nicht begreifen kann“.
Doch welche Art von Finsternis ist das? Von der Wolke, die sich zwischen die Ägypter und die Israeliten legte, heißt es, sie sei für die einen dunkel und für die anderen hell gewesen (vgl. Ex 14,20). Die Welt des Glaubens ist dunkel für die, die sie von außen betrachten, aber hell für die, die in sie eintreten. Es ist eine besondere Helligkeit, die eher das Herz erleuchtet als den Verstand. In der „Dunklen Nacht“ Johannes’ vom Kreuz (eine Variante zu Gregors Thema der Wolke!) erklärt die Seele, dass sie auf dem neuen Weg voranschritt, „und nichts ihr Strahlen sandte, als jenes Leitlicht, das im Herzen brannte“. Dieses Licht jedoch ist „sicherer als die Mittagssonne“.
Die selige Angela von Foligno, eine der wichtigsten Vertreterinnen dieser Vision Gottes in der Finsternis, sagt, dass die Muttergottes „so unsagbar tief mit der allerhöchsten, unfassbaren Dreifaltigkeit vereint war, dass sie zu Lebzeiten jenes Glück kennenlernte, welches die Heiligen im Paradies verspüren, nämlich das Glück der Nichterkenntnis (gaudium incomprehensibilitatis), weil sie begreifen, dass man nicht verstehen kann“. Diese Worte sind eine schöne Ergänzung der Lehre Gregors über die Unmöglichkeit, Gott zu erfassen. Sie versichern uns, dass diese Unmöglichkeit uns nicht erniedrigt oder uns irgendetwas nimmt, sondern dazu da ist, um den Menschen mit Begeisterung und Freude zu erfüllen; sie sagen uns, dass Gott unendlich viel größer, schöner, besser ist, als wir ihn uns je vorstellen könnten, und dass er all dies unseretwegen ist, damit unser Glück vollkommen sei, damit uns nie der Gedanke berühre, es könne langweilig werden, die Ewigkeit bei Ihm zu verbringen!
Auch Gregors Idee vom „Spüren einer Gegenwart“, das er als Gipfel der Gotteserkenntnis betrachtet, ist für eine Konfrontation mit der modernen Religionskultur nützlich. Die religiöse Phänomenologie hat eine Tatsache enthüllt, die mit unterschiedlichen Reinheitsgraden in allen Kulturen und allen Zeiten vorhanden ist, nämlich das „Gefühl des Göttlichen“, d.h. jenes Gemisch aus Furcht und Anziehung, das den Menschen ergreift, wenn er sich plötzlich dem Übernatürlichen und Überrationalen gegenübersieht. Wenn die Verteidigung des Glaubens, der am Anfang erwähnten neuen Einstellung der Apologetik zufolge, „zugunsten einer Pädagogik des geistlichen Erlebens, deren jedem Menschen angeborene Möglichkeit anerkannt wird“ in den Hintergrund rückt, dürfen wir die Hilfsmittel nicht missachten, die uns die moderne religiöse Phänomenologie bietet.
Natürlich sind das „gewisse Spüren Seiner Gegenwart“ Gregors von Nyssa und das undeutliche Gefühl, der Schauder des Übernatürlichen zweierlei, aber die beiden Dinge haben auch etwas gemeinsam. Das eine ist der Beginn eines Weges, der zur Entdeckung des lebendigen Gottes führt, das andere ist der Endpunkt dieses Weges. Die Gotteserkenntnis, sagt Gregor, beginnt mit einem Übergang von der Finsternis zum Licht und endet mit einem Übergang vom Licht zur Finsternis. Man kann nicht zum zweiten gelangen, ohne durch das erste gegangen zu sein; d.h., ohne sich erst von der Sünde und von den Leidenschaften befreit zu haben. „Ich hätte mich längst von den Vergnügungen abgewandt, wenn ich den Glauben hätte“, sagt der Zügellose. Aber Pascal antwortet darauf: „Du hättest längst den Glauben, wenn du dich von den Vergnügungen abgewandt hättest“.
Das Bild das uns, dank Gregor von Nyssa, auf dieser ganzen Meditation begleitet hat, ist das Bild Moses, der zum Sinai aufsteigt und in die Wolke hineingeht. Das nahe Osterfest gebietet uns, über dieses Bild hinauszugehen, um vom Symbol zur Wirklichkeit zu gelangen. Es gibt noch einen anderen Berg, auf dem ein anderer Mose Gott begegnet ist, während „eine Finsternis im ganzen Land“ herrschte (Mt 27,45). Auf dem Kalvarienberg hat der Mensch gewordene Gott, Jesus von Nazareth, den Menschen für immer mit Gott vereint. Am Ende seines „Pilgerbuchs der Seele zu Gott“ schreibt der heilige Bonaventura:
„Nach all diesen Überlegungen bleibt unserem Verstand nur noch eines: sich durch sein Denken nicht nur über diese sinnliche Welt, sondern sogar über sich selbst hinaus zu erheben; und in diesem Aufstieg ist Christus der Weg und die Tür, Christus die Leiter und das Fuhrwerk… Wer aufmerksam und mit Glauben, Hoffnung und Liebe, andächtig und jubelnd, mit Verehrung und Lobpreisung auf ihn schaut, wie er am Kreuze hängt, der erfüllt mit ihm das Osterfest, das heißt, den Übergang“.
Möge der Herr Jesus uns gewähren, dieses schöne und heilige Osterfest mit ihm zu begehen!"

aus P. Dr. Dr. Raniero Cantalamessa OFMCap, 4. Fastenpredigt im Päpstlichen Haus 2012, Der Heilige Gregor von Nyssa und der Weg zur Erkenntnis Gottes, http://www.cantalamessa.org/?p=1628&lang=de

Mittwoch, 18. Juli 2012

Sehen: Beweise

"Gerade von jüdischer Seite wird - durchaus zu Recht - immer wieder gefragt: "Was hat denn euer "Messias" Jesus gebracht? Er hat nicht den Weltfrieden gebracht und das Elend der Welt nicht überwunden. So kann er doch wohl der wahre Messias nicht sein, von dem gerade dies erwartet wird. Ja, was hat Jesus gebracht? Der Frage sind wir schon begegnet, und auch die Antwort kennen wir bereits: Er hat den Gott Israels zu den Völkern getragen, so dass alle Völker nun zu ihm beten und in den Schriften Israels sein Wort, des lebendigen Gottes Wort erkennen. Er hat die Universalität geschenkt, die die eine große und prägende Verheißung an Israel und an die Welt ist. Die Universalität, der Glaube an den einen Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs in der neuen Familie Jesu über alle Völker hin und über die fleischlichen Bande der Abstammung hinaus - das ist die Frucht von Jesu Werk. Das ist es, was ihn als den "Messias" ausweist und der messianischen Verheißung eine Deutung gibt, die in Mose und den Propheten gründet und sie freilich auch ganz neu aufschließt."


Joseph Ratzinger, Benedikt XVI., Jesus von Nazareth, Band 1, 149

différence

"1. Wisse nun wohl, Tryphon“, fuhr ich fort, „durch das, was der sogenannte Teufel in trügerischer Nachäfferei unter den Griechen erzählen ließ, durch das, was er in gleicher Weise durch die ägyptischen Zauberer und durch die falschen Propheten zur Zeit des Elias tat, ist mein aus der Schrift geschöpftes Wissen und mein Vertrauen auf die Schrift befestigt worden. 
2. Wenn nämlich die Griechen von Dionysos, dem Sohne des Zeus, erzählen, er sei aus einer Verbindung mit Semele geboren worden, wenn sie von ihm berichten, er habe den Weinstock erfunden, er sei, nachdem er infolge Zerfleischung gestorben war, auferstanden und in den Himmel aufgefahren, wenn sie bei seinen Mysterien einen Esel vorführen, soll ich da nicht merken, daß der Teufel die oben erwähnte, von Moses aufgezeichnete Prophetie des Patriarchen Jakob nachgeahmt hat? 
3. Da sie ferner von Herakles behaupten, er sei gewaltig, habe die ganze Erde bereist, sei von Alkmene dem Zeus geboren und sei nach seinem Tode zum Himmel aufgefahren, soll ich da nicht wiederum an eine Nachahmung dessen denken, was die Schrift von Christus gesagt hat mit den Worten: ‚Gewaltig wie ein Riese zu laufen seine Bahn’? Wenn der Teufel von Äskulap anführt, er habe Tote erweckt und anderes Elend geheilt, soll ich nicht auch hierin eine Nachahmung dessen behaupten, was in ähnlicher Weise von Christus prophezeit worden war?
4. Da ich euch jedoch noch keine Schriftstelle genannt habe, welche diese Wundertaten Christi prophezeit, so muß ich noch irgendeine Stelle erwähnen, aus der ihr auch ersehen könnt, wie selbst solchen, welche der Mangel an Gottes Erkenntnis gleichsam in einer Wüste wohnen ließ, das ist den Heiden, welche Augen hatten und nicht sahen, ein Herz besaßen und nicht verstanden, und welche die materiellen Gebilde anbeteten, der Logos vorausverkündet hat, daß sie den Götzen entsagen und auf unseren  Christus hoffen. 
5. Es heißt: ‚Freue dich, o Wüste, die du dürstest! Juble Wüste, und blühe auf gleich einer Lilie! Blühen und jubeln werden die Wüsten des Jordans. Die Herrlichkeit des Libanon und die Pracht des Karmel ist der Wüste gegeben. Mein Volk wird schauen die Größe des Herrn und die Herrlichkeit Gottes. Werdet stark, ihr schlaffen Hände und ihr matten Knie! Ihr Kleinmütigen, tröstet euch, werdet stark und fürchtet euch nicht! Siehe, unser Gott vergilt im Gerichte und wird vergelten. Er selbst wird kommen und uns retten. Dann werden die Augen der Blinden geöffnet werden und werden die Ohren der Tauben hören. Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, deutlich wird sein die Sprache der Lallenden. Denn in der Wüste bricht hervor Wasser und Bäche im dürstenden Lande. Und wo kein Wasser ist, wird Wiesengrund sein; Wasserquellen werden in dürstender Erde sein.’ 
6. In der Wüste, in welcher es keine Gotteserkenntnis gab, im Lande der Heiden, quoll als Quelle lebendigen Wassers von Gott her unser Christus hervor, welcher auch in eurem Volke erschienen ist und die, welche von Geburt aus und dem Fleische nach blind, taub und lahm waren, heilte, indem er dem einen durch sein Wort die Möglichkeit zu springen gab, dem anderen durch dasselbe das Gehör, wieder einem anderen das Augenlicht verlieh. Aber auch Tote erweckte er zum Leben. Durch seine Werke führte er die Menschen seiner Zeit zu seiner Erkenntnis. 
7. Sie aber nahmen, obwohl sie diese Wunder sahen, in ihnen Trugbilder und Zauberei an; wagten sie es ja auch, Christus einen Zauberer und Volksverführer zu nennen. Er aber wirkte eben diese Wunder, um die, welche später an ihn glauben sollten, zu überzeugen, daß er dem, der von körperlichen Leiden heimgesucht ist, wenn er nur seine überlieferten Lehren beobachtet, bei seiner zweiten Ankunft Unsterblichkeit, Unvergänglichkeit und Leidensunfähigkeit verleihen, ihn zu einem Leben frei vom Gebrechen erwecken werde."

Justinus der Märtyrer, Dialog mit dem Juden Tryphon, LXIX