Montag, 13. August 2012

Vollzug des zweckfreien und sinnvollen Vollzugs des Daseins

Ein sehr schöner Beitrag über die Vollendung der zweckfreien und überaus sinnvollen Verfassung des menschlichen Daseins im Vollzug der Liturgie.


Das leibhafte Spiel. Zur Anthropologie der Liturgie


Ein Vortrag von Prof. Drr. Hanna Barbara Gerl-Falkovitz über Romano Guardinis Wort von der Liturgie als Spiel bei der Fachtagung Liturgie & Psyche des Instituts für Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie der Hochschule Heiligenkreuz



Donnerstag, 9. August 2012

Vernünftige Mündungen


"Wenn nämlich ein Mensch von vornherein weiß, daß er rechnen darf und muß mit einer geschichtlichen Religion, die nur erreichbar ist in der Hinnahme und in der Rückwendung zu einem konkreten raumzeitlichen Hier und Jetzt, die sich nicht auflösen läßt in Vernunftsätze, die nicht einfach das Korrelat eines religiösen Gefühls oder Erlebens oder irgendeiner anderen religiösen Uranlage ist, die schließlich, weil sie gerade als Offenbarung Gottes in menschlicher Geschichtlichkeit kommt, auch all das Zufällige, an sich anders Denkbare und Kritisierbare, Undurchschaubare einer menschlichen historischen Erscheinung hat: wenn jemand mit all dem unbefangen rechnet, ist es für ihn dann schwer, die heilige römisch-katholische Kirche als den Ord der wirklichen Offenbarung des lebendigen Gottes zu erkennen?
Was zunächst diesen Anspruch der Kirche allen nichtchristlichen Religionen gegenüber betrifft, so gehen alle Versuche moderner Religionsgeschichte, die das Christentum zu einer der vielen Phasen und Ausgestaltungen der religiösen Anlage des Menschen einebnen wollen, nicht von einer aposteriorischen Feststellung tatsächlicher Gleichheit zwischen Christentum und anderen Religionen aus, sondern all diese Forschung steht schon von vornherein unter dem mehr oder weniger ausdrücklich ausgesprochenen Apriori, daß es eben keine Offenbarung des lebendigen Gottes an einem bevorzugten Ort menschlicher Geschichte unter Übergehen anderer geben könne und es sich von vornherein nur um das Wie (nicht um das Daß) einer Geschichte aller Religionen handeln könne, in der alle auf den gleichen Nenner zu bringen sind, weil eine "supranaturale" Geschichte einer Religion im Unterschied zu anderen von vornherein nciht in Betracht komme. Was wirklich an Parallelen zwischen Christentum und nichtchristlichen Religionen aposteriorisch festgestellt werden kann, erklärt sich tatsächlich auch ohne Annahme dieses falschen aprioristischen Grundsatzes moderner Religionsgeschichte aus der einfachen Tatsache, daß es sich  hier und dort selbstverständlich um den gleichen Menschen handelt und daß die Erwartung und das Ausschauen des Menschen nach einer wirklichen Offenbarung Gottes dort, wo sie nicht erfüllt ist oder nicht als erfüllt betrachtet wird, von sich aus leicht ähnliche Ersatzbildungen hervortreibt. Wer aber jenes aprioristische Vorurteil nicht teilt und wer von vornherein nicht den Mut zum Absoluten innerhalb des Endlichen aufgegeben hat, für den kann es nicht schwer sein, die wesentliche qualitative Verschiedenheit des Christentums von jeder anderen Religionsbildung festzustellen, die Kirche als das signum elevatum in nationibus zu erkennen, die durch sich selbst schon sich als den Ort der Offenbarung Gottes bezeugt - immer vorausgesetzt, daß man in der Haltung des Rechnens mit einer möglichen geschichtlichen Offenbarung Gottes schon steht. Diese Haltung allerdings ist Voraussetzung dafür, daß man das Christentum in seinem qualitativen Unterschied zu sehen vermag, weil man im anderen Fall in aprioristischer Willkür an die geschichtliche Erscheinung des Christentums Forderungen stellt, die es als Geschichte Gottes, die wesentlich in menschlicher Geschichte und Gestalt kommt, natürlich niemals erfüllen wird.
Was nun aber die Kirche im Verhältnis zu den anderen Gestalten des Christentums angeht, so kommen diese als Antwort auf die menschliche Grenzerfahrung einer Offenbarungserwartung eigentlich schon deswegen nicht in Betracht, weil sie selbst gar nicht mehr den Mut haben (den sie haben müßten), sich exklusiv als den Ort der Offenbarung Gottes schlechthin, und zwar in ihrer eigenen geschichtlichen Einmaligkeit, zu betrachten. Von einer geschichtlichen Offenbarung Gottes kann aber nur dann die Rede sein, wenn die betreffende geschichtliche Erscheinung als solche den Anspruch macht auf das extra ecclesia nulla salus, den Anspruch, als geschichtliche, sichtbare Größe unter Ausschluß jeder anderen der Ort zu sein, an dem der freie Gott einer wirklichen Offenbarung allein adäquat zu erreichen ist, wo Religion als wirklich gelungene Bindung des ganzen Menschen an Gott (was vom Menschen allein aus nie festzustellen ist) tatsächlich vorhanden ist. Wo man diesen Mut nicht mehr hat, wo man sich höchstens noch einen graduellen Vorzug vor anderen christlichen Religionsformen zuschreibt, gibt man die geschichtliche Eindeutigkeit des Wortes Gottes auf und damit den Mut zum Glauben an eine wirkliche geschichtliche Offenbarung Gottes. Kurz: Wer mit der Möglichkeit rechnet, daß ein bestimmtes Stück menschlicher Geschichte mit Ausschluß anderer Gottesgeschichte sein könne, der kann eigentlich nicht mehr anders als im katholischen Sinne offenbarungsgläubig sein und werden. Der Aufweis dieses Rechnenmüssens mit einer solchen Möglichkeit war aber das, worin wir den wesentlichen Kern der christlichen Religionsphilosophie sahen und worin deren wesentlichste Beziehung zur Theologie zu finden ist."

Karl Rahner, Hörer des Wortes, Schluß

Freitag, 3. August 2012

Warum sichtbare Religion notwendig ist - Der Nachvollzug, in jubilo

"Wenn nun deutlicher geworden ist, warum in dieser Verwandlung des bloßen Erkennens in die wissende Liebe die Absolutsetzung des Zufälligen sich so lichtet, daß die Bejahung eines Zufälligen in der wissenden Liebe durch Gott der Gelichtetheit des Seins überhaupt nicht widerstreitet, so ergibt sich nun daraus auch eine Einsicht in den Nachvollzug dieser Bejahung durch den Menschen. Sie ist der Nachvollzug der aus sich lichten schöpferischen Macht der freien Liebe Gottes, die im Grunde seinlassende Liebe zu ihm selber ist."

Karl Rahner, Hörer des Wortes, Der freie Hörende

warum?

"Das Endliche hat - um unsere Überlegungen wieder aufzunehmen - also seinen Grund in der freien, gelichteten Tat Gottes. Die freie, bei-sich-seiende Tat ist aber Liebe. Denn Liebe ist der gelichtete Wille zur Person in ihrer unableitbaren Einmaligkeit. Eben diesen Willen betätigt aber Gott in der Setzung eines endlichen Seienden. Denn er will dabei sich selbst in seiner freien, schöpferischen Macht als dem "Vermögen" der Seinsgabe, in der er selbstlos dem anderen dessen "Seinshabe" gewährt. Das endliche Zufällige ist gelichtet in der freien Liebe Gottes zu sich selbst und darin zu seinem frei gesetzten Werk. Damit erscheint die Liebe als die Leuchte der Erkenntnis des Endlichen und, da wir das Unendliche nur durch das Endliche kennen, auch als das Licht unserer Erkenntnis überhaupt, und die Erkenntnis ist in ihrem letzten Wesen nur die lichte Helle der Liebe. Eine Erkenntnis des Endlichen, die sich nicht in ihrem letzten Wesen als erst in der Liebe zur Erfüllung  ihres eigenen Wesens kommend begreifen will, verwandelt sich in Finsternis. Sie muß das Zufällige zu einem Notwendigen umlügen oder es in absoluter Unbegreiflichkeit, die es nicht geben kann und der die Erkenntnis stets widerspricht, stehenlassen oder das Seiende aus dunklem Drang erklären, in dessen Tiefen kein Licht leuchtet.
Insofern also Gott in der Liebe zu sich frei als die setzende Macht des Endlichen liebt, begreift er liebend das Endliche selbst. In dieser Liebe ist auch das Gesetzte in das Licht des Seins erhoben. Weil und insoweit Gott das Endliche liebt, nimmt es teil an der Gelichtetheit  des Seins. So und nur so. Die Logik kommt nur in der Logik der Liebe zum Begreifen der Seinsfreiheit."

Karl Rahner, Hörer des Wortes, Der freie Hörende

Einbruch Gottes in uns


"Wer erniedrigt den Verstand wirklich?
Jetzt möchte ich erklären, wie die Intuition Gregors von Nyssa uns Gläubigen helfen kann, unseren Glauben zu vertiefen und dem modernen Menschen, der den „fünf Wegen“ der traditionellen Theologie gegenüber skeptisch geworden ist, einen Weg zu zeigen, der ihn Gott wieder näher bringen kann.
Das Neue, das Gregor ins christliche Denken einführte, ist, dass man die Grenzen des Verstandes überschreiten muss, um Gott zu begegnen. Das ist das genaue Gegenteil von Kants Versuch, die Religion „innerhalb der Grenzen der Vernunft“ zu halten. In der heutigen säkularisierten Kultur ist man noch über Kant hinausgegangen: für ihn war im Namen der „praktischen Vernunft“ die Existenz Gottes immerhin noch ein „Postulat“; die späteren Rationalisten leugnen auch dies.
Daher verstehen wir, wie aktuell die Gedanken Gregors von Nyssa sind. Er beweist, dass der Verstand nicht von der Suche nach Gott ausgeschlossen ist; dass man nicht gezwungen ist, zwischen dem Glauben und dem eigenen Verstand eine Wahl zu treffen. Indem der Mensch in die Wolke, also in den Glauben, eintritt, verzichtet er nicht auf seinen Verstand, sondern geht über ihn hinaus, was etwas ganz anderes ist. Er schöpft gewissermaßen seinen Verstand ganz aus und ermöglicht es ihm, seinen edelsten Akt zu vollbringen, denn, wie Pascal sagt: „Der höchste Akt der Vernunft besteht in der Erkenntnis, dass es unendlich viele Dinge gibt, die über sie hinausgehen“.
Der heilige Thomas von Aquin, der zu Recht als einer der unermüdlichsten Streiter für die Rechte des Verstandes gilt, schrieb: „Man sagt, am Ende unserer Erkenntnis erkenne man Gott als den Unbekannten, weil unser Geist seine tiefste Gotteserkenntnis dann erreicht hat, wenn er merkt, dass sein Wesen alles überragt, was man auf Erden begreifen kann“. Im selben Augenblick, in dem der Verstand seine Grenzen erkennt, durchbricht er sie und geht über sie hinaus. Er begreift, dass er nicht begreifen kann, „sieht, dass er nicht sehen kann“, wie Gregor von Nyssa sagt; er sieht aber auch ein, dass ein verstandener Gott kein Gott mehr wäre. Der Verstand ist es, der dies erkennt; daher handelt es sich wirklich um einen Verstandesakt. Es ist buchstäblich eine „belehrte Unwissenheit“.
Daher muss man eher das Gegenteil anerkennen, nämlich, dass jene, die dem Verstand diese Möglichkeit über sich hinauszugehen nicht zugestehen, ihm Grenzen setzen und ihn erniedrigen. „Bisher“, schreibt Kierkegaard, „hat man immer gesagt: ‚Wer behauptet, das oder jenes könne nicht begriffen werden, befriedigt nicht die Wissenschaft, die begreifen will‘. Das ist ein Fehler. Genau das Gegenteil muss man sagen: sollte die menschliche Wissenschaft sich weigern anzuerkennen, dass es Dinge gibt, die sie nicht begreifen kann, oder – deutlicher noch – Dinge, von denen sie deutlich ‚begreift, dass sie sie nicht begreifen kann‘, dann gerät alles durcheinander. Es ist daher eine Aufgabe der menschlichen Erkenntnis, einzusehen, dass es Dinge gibt, die sie nicht begreifen kann“.
Doch welche Art von Finsternis ist das? Von der Wolke, die sich zwischen die Ägypter und die Israeliten legte, heißt es, sie sei für die einen dunkel und für die anderen hell gewesen (vgl. Ex 14,20). Die Welt des Glaubens ist dunkel für die, die sie von außen betrachten, aber hell für die, die in sie eintreten. Es ist eine besondere Helligkeit, die eher das Herz erleuchtet als den Verstand. In der „Dunklen Nacht“ Johannes’ vom Kreuz (eine Variante zu Gregors Thema der Wolke!) erklärt die Seele, dass sie auf dem neuen Weg voranschritt, „und nichts ihr Strahlen sandte, als jenes Leitlicht, das im Herzen brannte“. Dieses Licht jedoch ist „sicherer als die Mittagssonne“.
Die selige Angela von Foligno, eine der wichtigsten Vertreterinnen dieser Vision Gottes in der Finsternis, sagt, dass die Muttergottes „so unsagbar tief mit der allerhöchsten, unfassbaren Dreifaltigkeit vereint war, dass sie zu Lebzeiten jenes Glück kennenlernte, welches die Heiligen im Paradies verspüren, nämlich das Glück der Nichterkenntnis (gaudium incomprehensibilitatis), weil sie begreifen, dass man nicht verstehen kann“. Diese Worte sind eine schöne Ergänzung der Lehre Gregors über die Unmöglichkeit, Gott zu erfassen. Sie versichern uns, dass diese Unmöglichkeit uns nicht erniedrigt oder uns irgendetwas nimmt, sondern dazu da ist, um den Menschen mit Begeisterung und Freude zu erfüllen; sie sagen uns, dass Gott unendlich viel größer, schöner, besser ist, als wir ihn uns je vorstellen könnten, und dass er all dies unseretwegen ist, damit unser Glück vollkommen sei, damit uns nie der Gedanke berühre, es könne langweilig werden, die Ewigkeit bei Ihm zu verbringen!
Auch Gregors Idee vom „Spüren einer Gegenwart“, das er als Gipfel der Gotteserkenntnis betrachtet, ist für eine Konfrontation mit der modernen Religionskultur nützlich. Die religiöse Phänomenologie hat eine Tatsache enthüllt, die mit unterschiedlichen Reinheitsgraden in allen Kulturen und allen Zeiten vorhanden ist, nämlich das „Gefühl des Göttlichen“, d.h. jenes Gemisch aus Furcht und Anziehung, das den Menschen ergreift, wenn er sich plötzlich dem Übernatürlichen und Überrationalen gegenübersieht. Wenn die Verteidigung des Glaubens, der am Anfang erwähnten neuen Einstellung der Apologetik zufolge, „zugunsten einer Pädagogik des geistlichen Erlebens, deren jedem Menschen angeborene Möglichkeit anerkannt wird“ in den Hintergrund rückt, dürfen wir die Hilfsmittel nicht missachten, die uns die moderne religiöse Phänomenologie bietet.
Natürlich sind das „gewisse Spüren Seiner Gegenwart“ Gregors von Nyssa und das undeutliche Gefühl, der Schauder des Übernatürlichen zweierlei, aber die beiden Dinge haben auch etwas gemeinsam. Das eine ist der Beginn eines Weges, der zur Entdeckung des lebendigen Gottes führt, das andere ist der Endpunkt dieses Weges. Die Gotteserkenntnis, sagt Gregor, beginnt mit einem Übergang von der Finsternis zum Licht und endet mit einem Übergang vom Licht zur Finsternis. Man kann nicht zum zweiten gelangen, ohne durch das erste gegangen zu sein; d.h., ohne sich erst von der Sünde und von den Leidenschaften befreit zu haben. „Ich hätte mich längst von den Vergnügungen abgewandt, wenn ich den Glauben hätte“, sagt der Zügellose. Aber Pascal antwortet darauf: „Du hättest längst den Glauben, wenn du dich von den Vergnügungen abgewandt hättest“.
Das Bild das uns, dank Gregor von Nyssa, auf dieser ganzen Meditation begleitet hat, ist das Bild Moses, der zum Sinai aufsteigt und in die Wolke hineingeht. Das nahe Osterfest gebietet uns, über dieses Bild hinauszugehen, um vom Symbol zur Wirklichkeit zu gelangen. Es gibt noch einen anderen Berg, auf dem ein anderer Mose Gott begegnet ist, während „eine Finsternis im ganzen Land“ herrschte (Mt 27,45). Auf dem Kalvarienberg hat der Mensch gewordene Gott, Jesus von Nazareth, den Menschen für immer mit Gott vereint. Am Ende seines „Pilgerbuchs der Seele zu Gott“ schreibt der heilige Bonaventura:
„Nach all diesen Überlegungen bleibt unserem Verstand nur noch eines: sich durch sein Denken nicht nur über diese sinnliche Welt, sondern sogar über sich selbst hinaus zu erheben; und in diesem Aufstieg ist Christus der Weg und die Tür, Christus die Leiter und das Fuhrwerk… Wer aufmerksam und mit Glauben, Hoffnung und Liebe, andächtig und jubelnd, mit Verehrung und Lobpreisung auf ihn schaut, wie er am Kreuze hängt, der erfüllt mit ihm das Osterfest, das heißt, den Übergang“.
Möge der Herr Jesus uns gewähren, dieses schöne und heilige Osterfest mit ihm zu begehen!"

aus P. Dr. Dr. Raniero Cantalamessa OFMCap, 4. Fastenpredigt im Päpstlichen Haus 2012, Der Heilige Gregor von Nyssa und der Weg zur Erkenntnis Gottes, http://www.cantalamessa.org/?p=1628&lang=de