Montag, 26. November 2012

Abschied

"Gewiss kann das Leiden einmal so gross und geheimnisvoll werden, dass es Gott aus dem Bewusstsein des Leidenden auslöscht. Aber es kann auch sein, dass Gott im Leiden noch größer wird und dass er im Größerwerden die letzte Zuflucht und Hoffnung des Leidenden bleibt.
Der Atheismus ist also immer möglich, aber er ist nie notwendig. Er scheint zu unseren Zeiten eine Art geschichtlichen Schicksals und geschichtlicher Notwendigkeit zu haben. Aber auch dies ist nur ein Schein.
Man kann manchmal die Menschen verstehen, die zum Atheismus gekommen sind. Wir haben es versucht. Aber was die Geschichte und ihr Geschick angeht, so bleiben die letzten Gründe des geschichtlichen Geschehens, das den Atheismus zur Weltmacht gemacht hat, auf jeden Fall im Geheimnis.
Man kann, auf die Geschichte blickend, sagen: Die Zeit des Atheismus ist gekommen. Aber wenn sie gekommen ist, kann sie, wie jede Zeit, auch wieder gehen. Und für die, für die Gott zur lebendigen Erfahrung wurde, bleibt immer ein Weg des Glaubens. Nur wird der Glaubende für einige Zeit mit seinen atheistischen Zeitgenossen leben müssen."

Bernhard Welte, Religionsphilosophie, 165

Neuzeit als Bemühung der Inkarnationsverwirklichung

Am Ende des materialistisch-emanzipatorisch geprägten, naturwissenschaftlich dominierten Zeitalters der sog. Neuzeit wird zunehmend und schlagartig offenkundig und klar: Die materialistische Naturwissenschaftlichkeit ist eine Regung der großen Tatsache und Umwerfung des Gesamten der Inkarnation, das aufklärerisch-kritische Emanzipationsdrängen, aber die Wehen des Aufgangs, der Metanoia des neuen erlösten-divinatorischen Lebens, welches durch die Erscheinung und endgültig durch die Auferstehung Jesu Christi vom Tod eröffnet und als werdend-gewordenes Reich aufgerichtet worden ist.
Die Neuzeit in ihren ureigensten Bestrebungen kann nur zur Selbstaufklärung und dann auch zur Selbsteinsetzung und d.h. -verwirklichung gelangen, wenn sie sich mit ihren Mitteln und Methoden, aber über diese Mittel und Methoden hinausgehende, sie erfüllende und überschreitende (metanoia) Bewegung der Wirklichwerdung der wirklichen Neuen Zeit erfüllt, realisiert und dann auch in die Bewegung ihrer Verwirklichung gerät.
Die Neuzeit ist die Verwirklichung der Inkarnation, der Menschwerdung Gottes, als Welt und als Reich, als Reich des Geistes des Sohnes, als des Gottes Sohnes und des Königs der Welt und d.h. der Schöpfung, des Alpha und des Omega, des LOGOS, der Offenbarwerdung des Ursprungs als der Eröffnung der Realisierung seiner Verwirklichung und Offenbarwerdung. Die Neuzeit ist die Emanzipationsbewegung der Werdung dieses neuen, vollendeten und vollkommenen, des ewigen Lebens, im Geist und im Leib, im Leib, welcher als der Leib Christi die Kirche ist, welche die Welt wird, welche wiederum die Fülle der Zeit und der Erfüllung und die Fülle des Raumes wird, die Fülle der Wirklichwerdung und die Zeit der Wiederankunft und Offenbarwerdung Christi.
Kann die Dynamik, die inverse und die extense der Neuzeit, ihrer Herkunft, ihres Kontextes und ihrer Entelechie anders als auf diesem Wege erschöpfend aufgeklärt werden?
Erfüllt sie sich in einer anderen als in dieser Synthese, Symbiose und Panoptik?
Hat sie eine andere Möglichkeit ihrer eigenen Selbstverständigung?
Ist sie nicht das, was sie immer schon übersteigt, betreibt und in deren Ein- und Zustimmung ihre Freiheit besteht, die Erfüllung ihrer Autonomie und der Aufgang, die Einlösung ihres Selbst?

Was bedeutet dies aber z.B. für ihre Physik, für die Grundwissenschaft ihrer Selbstvergegenwärtigung? Reicht es für eine spirituelle, eine mentale, eine bewußtseinsmäßige Erweiterung der Physik (und der von ihr abgeleiteten und an ihr hängenden Grundwissenschaften (der Ökonomie, der Soziologie, der Biologie und Biochemie, der Pychologie, der Literatur- und Kulturwissenschaft, der Historie etc.) zu plädieren? Besteht eine wahre Eröffnung und Alterierung und damit Wachstumsherausforderung für die und der Physik nicht einzig und allein in ihrer Herausforderung und Eröffnung und Ergänzung durch allein jene von ihr verdrängte ehemalige Grundwissenschaft der Theologie und d.h. hier der Offenbarung, um die Physik mit einem ihr wirklich anderen und sie dann auch Herausfordernden und Erweiternden und zum Wachstum herausrufenden zu konfrontieren und zu und auf ein solches zu eröffnen, das ihr einzig die Möglichkeit geben würde, ihre Forschungsprogramme auf die wahren Fragen, Fraglichkeiten und Herausforderungen zu erweitern: die der Entstehung, der Werdung, der Zusammensetzung, der wirklichen Entwicklung, Bestimmung und angemessenen Wachstumsgesetzbestimmung?
Ist die Physik nicht einzig durch einen Gott herauszufordern, durch einen Gott ohne welchen sie letztlich immer nur eine wenn auch mehr oder weniger geschickt kaschierte Spießer- und Sandkasten-elementarstufen-veranstaltung bleiben würde und muß, eine, die immer viel mehr und mächtiger wäre und ist in ihrer hervorragenden Mächtigkeit der Analyse und d.h der Auflösung und Zerstörung als in der Beschreibung der wirklichen Werdung ohne Ausflüchte in ursprungs- und anfangslose Mythen der angeblichen Evolutivität (Welche als solche der Inbegriff der Erklärung ohne die Erklärung, der Tautologie ist, welche auch noch dazu von einer dunkelsten Art der Mythengläubigkeit und des Für-bare-Münze-Haltens abhängig ist, welches als Position den Stolz jedes nicht gerade debilen Verstandes maßlos kränkt und verletzt!)
Und: Besteht nicht in dieser gar nicht einmal mutigen, sondern allein angemessenen Alternative und Aufstellung die einzige Möglichkeit der Fruchtbarwerdung, der Produktivität der Naturwissenschaft, jener Wissenschaft, die uns erklären und sagen sollte und doch auch will (wenn sie wirkliche Wissenschaftler und nicht pausbackige Pantoffelbeamtenverwalter betreiben und okkupiert haben, um unendliche öffentliche Mittel für ihre unfruchtbare Vorstellung und Aufstellung zu verschwenden), wie und warum etwas, das ist, ist, so wie es wird und wie es ist aus seinem unendlichen und in seinem unendlichen Wunder, dass es ist und dass es wird? Ist die Naturwissenschaft und ist die Physik nichts anderes als Theologie, basal runterbuchstabierte Theologie, aber eine, die immer um die Bedeutungs-, Wort-, Satz-, Sprach- und Sprecherhaftigkeit, die Autorität der Buchstaben und der Sprache weiß und die nicht von einem pathologischem Begriffs- und Figurenkonkretismus beschlagnahmt ist, um sich über alle Maße peinlich zu machen und uns mit ihrer Unbedarftheit, Belanglosigkeit, Gemeingefährlichkeit und Schmerzen erregenden Borniertheit zu quälen?

Wie ist es möglich, dass sich die Theologie (wohl ist es die Theologie des 19. Jahrhunderts..!) von einer solchen Lachnummer nicht nur die Schau stehlen läßt (im wahrsten Sinne des Wortes!), sondern sich vollkommen an den Rand, die Ränder, in die Luftlosigkeit (Luft=Geist, Hl. Geist..) verdrängen und verscheuchen läßt, um seit dem eine Rechtfertigung der Nichtvorhandenheit, eine Obertontheologie (Die absolute Perversion des Propriums und Ehrentitels der Übernatürlichkeit.), oder besser -philosophie zu sein, eine Theologie, die stirbt und schon gestorben ist und nicht ist und nicht war, wenn sie nicht die Theologie der vollen Fülle Gottes und d.h. auch dann der vollen Fülle seiner Schöpfung, seiner Analogie ist, seine analogia entis, seine philosophia perennis, welche die Philosophie, der Theo-Logos des unendlichen Wunders der Menschwerdung Gottes, der Inkarnation ist, des Wunders des Wunders, des einzigen Grundes des Seins?

Und hat hier nicht die Theologie des Mysteriums, der Theodramatik, die wahre Theologie des Kreuzes und die Kontemplation und Admiration der Krippe, die Anrufung des Heiligen Geistes, haben nicht diese von den Hauptkathedern und in die Exklusivitätsorte verdrängten Invektiven haben sie nicht die Keime und die Antriebe jener wahren Verwirklichung der Theologie bewahrt und fortgetragen, um sie in und für eine Zeit fruchtbar werden und aufgehen zu lassen, welche eine Zeit der wirklichen Kompetenz und Fähigkeit der Aussetzung und der Konfrontation, der Gegenüberstellung vor das wirkliche und wahre Geheimnis der Wirklichkeit ist, welches das wirkliche und wahre Gegenübertreten vor das Geheimnis des unendlichen Gottes ist, welcher uns als der Geber und als der gebende und entgegenhaltende Grund von jenseits der Gabe entgegensteht und -blickt und welcher eine jubelnde Wissenschaft, ein sich einlösendes Leben und einer wahrhaftigen und d.h. mystischen Theologie bedarf, welche eine Theologie der Klarheit ist?

Was ist die Technik in dieser Zeit? Ist sie nicht das am wenigsten entwickelte Kind und Etwas, ein Krüppel dieser Zeit? Ist sie nicht eine Peinlichkeit und Verlegenheit und Anmassung, eine Minderwertigkeitskomplex-Angetriebenheit? Ist sie nicht das am meisten beschrieene und das damit auch gehaltloseste (Nicht-)Produkt einer Zeit, die am allerwenigsten technisch ist? Einer Zeit, die es gerade nicht versteht, was Einlösung ist, die es nicht versteht, sich einzulösen, ihre Vorgaben und Gründe zu verwirklichen, sein zu lassen, werden zu lassen, offenkundig werden zu lassen. Eine Zeit, die (mittels ihrer "Technik") aus der und durch die Erstickung ihrer Gründe und Möglichkeiten lebt, um Scheinmöglichkeiten an ihre Stelle zu setzen, die gerade ihrem Anwender immer mehr das technische Ungenügen bewußt werden lassen, das ihm jene Simulakren der Befriedigung bereiten, welche ihn verkleinern und die Prothese ins Überzogene wuchern lassen, um erneut nur traurige Anblicke zu generieren?
Wie also die Technik erobern, wie das technische, das Herstellungsvermögen der Zeit eröffnen, retten, gewinnen und wiedergewinnen? Wie die schöpferische Würde einrichten und wiedereinrichten? Wie anders als durch die Erinnerung der Quellenhaftigkeit ihrer Vollzieher, durch die göttliche Abhängigkeit ihrer Gründe und durch die absolute Berufung ihrer Betreiber? Inkarnation, Verwirklichung, Umsetzung. Wir brauchen nur einer Gabe zustimmen und jener sich annehmen, die wir gerade abstoßen und loswerden wollten und hofften, die aber unsere Rettung und nicht nur das: die die Möglichkeit unseres Selbst ist.
Und gerade so werden und bleiben wir Neuzeit. Neue Zeit.

Neue Zeit, die in die Ewigkeit geht.

Sonntag, 25. November 2012

Verkündigung im Unbekannten

"Weit  problematischer ist das Verhältnis zu den Heiden. Hier müsste man sich mit Lukas auf den Areopag führen lassen, wo Paulus inmitten der vielen Kulte den Agiosto Theo geweihten Altar entdeckt und von ihm aus die Verkündigung des einen Gottes als die Entdeckung dieses großen Unbekannten verkündet, der den Athenern immer schon präsent, aber nicht bewusst gewesen sei (Apg 17,16.34)."

Thomas Söding, Bekehrung zur Wahrheit, Communio, 2012


Montag, 19. November 2012

Fürsorge

"Die Abba-Erfahrung Jesu ist nicht eine für sich stehende - wenn auch in sich sinnvolle - religiöse Erfahrung, sondern darin zugleich eine Erfahrung Gottes als "Vater", der seinen Kindern sorgend Zukunft schenkt, eines Gottes, Vaters, der jedem Zukunft gibt, dem von der Welt her gesehen überhaupt keine Zukunft mehr zugesagt werden kann. Aus seiner Abba-Erfahrung heraus kann Jesus den Menschen die Botschaft von einer Hoffnung bringen, die sich nicht aus unserer Weltgeschichte ableiten lässt, weder aus individuellen noch aus sozial-politischen Erfahrungen, wenn diese Hoffnung sich auch in diesen realisieren muss."

Jesus, Die Geschichte von einem Lebenden, Edward Schillebeeckx, 1974, 237

Schibboleth der Entwicklung

"Für uns modernen Menschen ist die Geschichte - auch die Jesusgeschichte - erst dann richtig zu verstehen, wenn wir zu einer zweiten Primitivität, einer zweiten erzählenden Unschuld, kommen, d.h., wenn wir durch die Geschichtswissenschaft und die Kritik hindurch gegangen sind und so zu einer "erzählenden Unschuld" zurückkehren, die dann selbst ihre kritische Kraft aus Wissenschaft und Kritik wiedergewinnt."

Jesus, Die Geschichte von einem Lebenden, 1974, Edward Schillebeeckx

Montag, 12. November 2012

De Ecclesia

"Wie wir sehen, dass es in dem einen Menschen nur eine Seele und einen Leib gibt, aber doch verschiedene Glieder, so ist auch die katholische Kirche ein Leib, der verschiedene Glieder hat. Die Seele aber, die diesen Leib belebt, ist der Heilige Geist. Daher ist uns geboten, nach dem Glauben an den Heiligen Geist den an die heilige katholische Kirche zu bekennen. So fügen wir im Glaubensbekenntnis hinzu: "... an die heilige katholische Kirche".
"Kirche" bedeutet "Versammlung". Die heilige Kirche ist also die Versammlung der Gläubigen. Und jeder Christ ist wie ein Glied dieser Kirche. Diese heilige Kirche aber erfüllt vier Bedingungen.
1. Die Kirche ist eine. Diese Einheit der Kirche hat drei Ursachen. Zunächst die Einheit des Glaubens; denn alle Christen, die zum Leibe der Kirche gehören, glauben dasselbe. Zum zweiten die Einheit der Hoffnung; denn alle stehen fest in der einen Hoffnung, das ewige Leben zu erlangen. Endlich die Einheit der Leibes; denn alle sind in der einen Liebe zu Gott und in gegenseitiger Liebe zueinander verbunden. Wenn diese Liebe echt ist, dann zeigt sie sich darin, dass die Glieder füreinander besorgt sind und das Leid gemeinsam tragen.
2. Die Kirche ist heilig. Die dieser Versammlung (der Kirche) angehörenden Gläubigen werden aber aus zwei Quellen geheiligt. Zunächst durch die Taufe; denn wie man einen Kirchenraum vor der Weihe äußerlich säubert, so werden auch die Gläubigen im Blute Christi gewaschen. Zum zweiten durch eine Salbung; wie ein Kirchenraum gesalbt wird, so auch die Gläubigen durch eine geistliche Salbung, durch die sie geheiligt werden. Andernfalls wären sie keine "Christen", denn "Christus" bedeutet Gesalbter. Endlich durch die Einwohnung des dreifaltigen Gottes, denn der Ort, wo Gott wohnt, ist heilig.
3. Die Kirche ist katholisch, d.h. allgemein. Zunächst räumlich, denn sie ist auf der ganzen Welt ausgebreitet. Zum zweiten im Hinblick auf die Stände der Menschen; denn keiner ist ausgeschlossen, weder Herr noch Sklave, weder Mann noch Frau. Drittens zeitlich, denn die Kirche nahm ihren Anfang zur Zeit Abels und wird bestehen bis zum Ende der Welt.
4. Die Kirche steht fest. Ein Haus steht fest, wenn es gute Fundamente hat: das Fundament der Kirche ist Christus; das abhängige Fundament aber sind die Apostel und ihre Lehre. Daher wird die Kirche apostolisch genannt."

Thomas von Aquin, Kommentar zum Apostolischen Glaubensbekenntnis, Art. 9 (gekürzt), zitiert nach M.D. Chenu, Thomas von Aquin

Sonntag, 11. November 2012

Quellen

"Postmoderne "Wüste" stellt die Frage nach einem Selbstüberstieg, in dem das Denken von einem wirklichen und wirkungsvollen Gegenüber herausgefordert wird. Es stößt eben nicht nur auf ein eigenes, sondern auf ein anderes, ebenso vertrautes wie fernes "Innen", inerior intimis meis (Augustinus). Sofern diese Bewegung nicht vollzogen wird, bleibt das Denken selbstbezüglich und selbstthematisch, letzten Endes nur auf Methodenfragen zugespitzt: es fragte nach "wie", nicht mehr nach "was". Oder positiv ausgedrückt: sofern die gemeinsame Anstrengung des Denkens jenes Gegenüber sucht, genauerhin seine "Spur" zulässt, rührt sie an die Grenze des universitär Möglichen. Und doch, was wäre denn der Mühe wert als eben dieses die Grenzen der Akademie Sprengende?
Nüchtern: Worüber man nicht schweigen kann, davon muss man sprechen. Sprechen freilich unter dem Vorbehalt, dass man auch versteht aufzuhören (im genialen Sinn des deutschen Wortes): aufhorchend von etwas ablassen und hinhorchend sich ausstrecken auf das, was sich vernehmen lässt. À Dieu? Postmodern gelesen kann es auch heißen, von einem zu klein gedachten Gott ablassen und sich ausstrecken auf ein Neues (lang Vergessenes, und Verborgenes)."

Hanna-Barbara Gerl Falkovitz, À Dieu?, 2012

Dienstag, 6. November 2012

Mißsicht


"Als Paulus plötzlich dem wahren Gott begegnete, dem er zu dienen wähnte, erkannte er nicht nur, daß er Ihn nicht kannte - "Wer bist Du, Herr?" -, sondern auch, daß er Ihm widerstand, daß er Ihm widerstrebte, Ihn verfolgte, ohne es zu wissen, und zwar gerade dann, wenn er ehrlich glaubte, Ihn zu ehren."

Begegnungen mit Christus, Louis Evely