Mittwoch, 30. Dezember 2015

Horizontales, essbares Entgegenkommen des Ewigen

"Die spezifisch katholische Auffassung von der Offenbarrung und somit von der ganzen Heilsökonomie liegt ja gerade darin, dass mir die Gnade selbst in historischer Sichtbarkeit auf der horizontalen Ebene unserer Menschengeschichte (und, darin aufgenommen, des Kosmos oder der leiblichen Welt) und nicht bloß wie in einem vertikalen Regenfall oder Tau vom Himmel entgegentritt. Das Himmlische – die Gnade – tritt uns aus der Welt, aus der Menschengeschichte mit ihrer weltlichen "Umwelt" entgegen. Die persönliche, gnadenvolle Beziehung zu Gott ist zugleich eine Beziehung mit der Mitmenschlichkeit und somit eine Ausrichtung auf die weltliche Welt. In einem kosmischen Stück Brot werde ich von Christus in der Eucharistie begnadet. Aber der begnadende Akt der Selbstgabe eben im konsektrierten Brot und durch das konsekrierte Brot hat ein schöpferisches Moment, in erster Linie nicht im Hinblick auf mich selbst, sondern in erster Linie in der Gabe dieses Brotes als sakramentaler Selbstgabe Christi – aufgrund dessen ist dieses Brot in seiner höchsten Realität schlechthin kein Brot mehr - und dann durch mein gläubiges Kommunizieren auch in mir selbst. Die leiblicher Tätigkeit des Essens ist deshalb (selbstverständlich für den Gläubigen) eine Heilstätigkeit. Die kosmische Wirklichkeit steht nicht außerhalb dieses Gnadenprozesses oder wird in diesen nicht nur durch ein außerhalb bleibendes Wort Gottes einbezogen; das Brot selbst ist die hier dargereichte Gnade: d.h. Christus selbst in sakramentaler Essbarkeit als Opferspeise, als Nahrung für den ganzen Menschen. Die weltliche Welt selbst wird innerlich in diese Selbstschenkung Christi einbezogen und nimmt dadurch – und hier liegt meines Erachtens die tiefste Bedeutung des tridentinischen Dogmas von der Transsubstantiation (deren Bedeutung für mich hier und jetzt wir erst im folgenden Kapitel analysieren werden) – schon teil an der eschatologischen Situation der verherrlichten Leiblichkeit, die entitativ vergöttlicht sein wird. Aber wir befinden uns noch in dem zusammen bestehenden "schon jetzt" und doch "noch nicht", das die Heilszeit zwischen der Auferstehung und der Parusie kennzeichnet. Deshalb gehören das konsekrierte Brot und in ihrer neuen Bedeutung als "neue Schöpfung" der Heilsordnung, doch auch noch "dieser alten Welt" an. Aus diesem Grunde umfasst die Transsubstantiation zwei Dimensionen: zwar Seinsverwandlung des Brotes und des Weines (in denen ja durch den Heiligen Geist der verherrlichte, lebendigmachende Leib Christi real dargeboten wird), aber innerhalb der irdischen, aber jetzt (durch die Seinsverwandlung) sakramentalen Gestalt von Brot und Wein, die in dieser weltlichen Welt den irdischen Gesetzen des Leiblichen (d.h.hier: dieses pflanzenartigen Kulturprodukts, das wir im täglichen Leben als Brot essen und als Wein trinken) unterworfen bleiben. Zwei Dimensionen ein und derselben ungeteilten Realität. Das ist eben der Kern des Dogmas."

E. Schillebeeckx, Die eucharistische Gegenwart, 54f