Freitag, 21. August 2015

Ad cardinalem Müller

"Diese Hinweise könnten entwickelt und vertieft werden. Gute Dinge lassen sich schwer handhaben, und nichts ist schwieriger zu handhaben als die Moral, besonders seitdem sie in so vielen Köpfen kantisch geworden ist, die es selber nicht einmal merken, und seitdem sie sich von der Natur getrennt hat (die sie den Regeln der Vernunft zu unterwerfen hat und die gleichwohl, insoweit sie auf das ewige Gesetz zurückgeht, selber den Maßstab für die Vernunft abgibt). Sie kann großes Unglück herbeiführen, wenn sie, anstatt von innen her auf die lebendige Bewegung einzuwirken, mit der die Ziele des menschlichen Lebens verfolgt werden, dies von außen her versucht, das heißt schließlich dadurch, dass sie dann einer amoralischen Lebensbewegung lebensferne moralische Regeln aufzwingt. Sie kann großes Unglück im Leben der Völker herbeiführen, wenn sie, anstatt von innen her auf die Politik einzuwirken, dies von außen her versucht, das heißt schließlich dadurch, dass sie dann einer Politik unpolitische moralische Regeln aufzwingt."

Jacques Maritain, Der integrale Humanismus, Der Gebrauch der Moral, 174

Sonntag, 16. August 2015

one world - Eine Welt

"Die Auslandsverschuldung der armen Länder ist zu einem Kontrollinstrument geworden, das Gleiche gilt aber nicht für die ökologische Schuld. Auf verschiedene Weise versorgen die weniger entwickelten Völker, wo sich die bedeutendsten Reserven der Biosphäre befinden, weiter die Entwicklung der reichsten Länder, auf Kosten ihrer eigenen Gegenwart und Zukunft. Der Erdboden der Armen im Süden ist fruchtbar und wenig umweltgeschädigt, doch in den Besitz dieser Güter und Ressourcen zu gelangen, um ihre Lebensbedürfnisse zu befriedigen, ist ihnen verwehrt durch ein strukturell perverses System von kommerziellen Beziehungen und Eigentumsverhältnissen. Es ist notwendig, dass die entwickelten Länder zur Lösung dieser Schuld beitragen, indem sie den Konsum nicht erneuerbarer Energie in bedeutendem Maß einschränken und Hilfsmittel in die am meisten bedürftigen Länder bringen, um politische Konzepte und Programme für eine nachhaltige Entwicklung zu unterstützen. Die ärmsten Regionen und Länder besitzen weniger Möglichkeiten, neue Modelle zur Reduzierung der Umweltbelastung anzuwenden, denn sie haben nicht die Qualifikation, um die notwendigen Verfahren zu entwickeln, und können die Kosten nicht abdecken. Darum muss man deutlich im Bewusstsein behalten, dass es im Klimawandel diversifizierte Verantwortlichkeiten gibt, und sich – wie die Bischöfe der Vereinigten Staaten sagten – entsprechend "besonders auf die Bedürfnisse der Armen, der Schwachen und der Verletzten konzentrieren, in einer Debatte, die oftmals von den mächtigeren Interessen beherrscht ist". Wir müssen uns stärker bewusst machen, dass wir eine einzige Menschheitsfamilie sind. Es gibt keine politischen oder sozialen Grenzen und Barrieren, die uns erlauben, uns zu isolieren, und aus eben diesem Grund auch keinen Raum für die Globalisierung der Gleichgültigkeit."

Papst Fanziskus, Laudato si, Über die Sorge für das gemeinsame Haus, 52

Freitag, 14. August 2015

Ad synodam tremendum magnum

"Wir möchten immer beruhigt sein und fürchten jedes Befremden. Darum bauen uns eine kleinliche Religion nach unserem kleinlichen Format. Die Paradoxe des Evangeliums sind uns ein zu starker Wein; wir verstopfen die Ohren vor dem großen befreienden Anruf. Entmutigt bleiben wir vor den Todespforten stehen, die der einzige Zugang zum Leben sind. In unserer Verzagtheit überlassen wir das Neue und Freie des Christlichen denen, die es verdrehen, und selbst das wird uns zum Vorwand, uns noch mehr zu entfremden. Wie Parasiten darin eingebohrt, aber ohne seinen Saft in uns überströmen zu lassen, fälschen wir das Christentum in den Augen derer, für die wir es repräsentieren. Indem wir es in den Dienst des weltlichsten Menschen stellen, berauben wir es seiner höchsten Bezauberungsmacht und sind schuld an seiner Verhöhnung. 
Das ist die Kirchengeschichte aller Jahrhunderte. Das ist, o Gott, wir geben uns zu, unsere Alltagsgeschichte. Wie kommt es, dass trotz allem, o Wunder, ein paar Strahlen Lichts durchsickern?"

Henri de Lubac, Glaubensparadoxe