Mittwoch, 31. Oktober 2012

Ausgewogenheiten

"Die Kirche als Institution ist somit die Form, ihre Diener das "Sakrament“ des mystischen Leibes Christi. Ihr Fortschreiten in der Zeit belässt sie mit sich selbst identisch, ohne Nachteile für die Typologien, die im Verlauf der Geschichte die spirituellen Gesetze dieses Fortschreitens zutage treten lassen. Im Licht des grandiosen Schemas des Heilswerkes, wie es die griechischen Lehrer vortrugen, sind die Menschwerdung Christi und sein sichtbarer, sozialer Leib wesensbestimmend für die geschichtliche Mittlerstellung der Kirche zwischen Gott und Mensch, so dass sie durch ihre eschatologische Spannung nicht zu einer spirituellen Theokratie verbogen wird. Gerade der Plan der Summa Theologiae des Thomas, der auf der Rückkehr zu Gott durch die geschichtliche Realität der Inkarnation und in ihr gründet, illustriert die einzigartige Ausgewogenheit dieser Synthese, die die Theologen der Reformation und der Gegenreformation nicht beachten werden. Es ist ziemlich sensationell, dass es die Magistri dieser evangelisch orientierten Generationen sind, die nicht nur praktisch, sondern auch denkerisch in der tiefen Krise der Christenheit beim Eintritt in die neue Zeit das Wesen der Kirche umrissen haben, ihre christologische Natur, ihr spirituelles Lebensgesetz, ihre gotthafte Innerlichkeit, ihre hierarchische Verfassung, ihre unfehlbare Zeugenschaft. Die Kirche der Inkarnation in der Abfolge der geschichtlichen Christenheit ist die Wirklichkeit und das Maß der Kirche des Heiligen Geistes."

Marie Dominique Chenu, Thomas von Aquin, Rowohlt, 1960

Montag, 29. Oktober 2012

Die Tiefe der Offenbarung


„Ich werde gefragt, was für mich der wichtigste jemals auf der Erde ausgesprochene Satz ist. Die Antwort weiß ich sofort: Ego sum resurrectio et vita. Ich bin die Auferstehung und das Leben. Was wir unser ganzes Leben hindurch lesen oder hören ist beträchtlich, aber sobald man die meisten Sätze einmal gesagt oder gelesen hat, reicht es für immer. Andere jedoch treffen einen mitten ins Herz. Ein Spruch hat mich geprägt, als ich ihn zum ersten Mal hörte. Ich war sechs und meine Mutter redete schon mit mir wie mit einem Mann. „Denke immer daran“, erklärte sie mir, „was Christus gesagt hat. Ich bin die Auferstehung und das Leben. Darin ist alles enthalten.“ Das war geheimnisvoll in seiner großen Einfachheit und mithin unvergesslich. Dieser Satz hat mich mein ganzes Leben lang begleitet. Er schenkt jedem seine Wahrheit und erklärt jedem den Sinn seines Schicksals. Was wäre der Mensch ohne diese endgültige Hoffnung? Ein Schatten unter den Schatten einer zufälligen Schöpfung, ein Gemisch von Atomen, die von nirgendwo herkommen , um ins Nichts zu gehen. Ein Wesen, das ohne Grund in einem unerklärlichem Universum aufgetaucht ist. Das ist die Vorstellung jener, die an das Nichts glauben. Aber es gibt dieses Wort Christi. Es löscht alle anderen, die seit Anbeginn unserer Geschichte ausgesprochen worden sind. Mit ihm besteht der Geist fort. Wir sind zu unsterblichem Fleisch, zu endloser Jugend bestimmt. Der Traum der Menschheit nimmt buchstäblich Gestalt an.“ 

Julien Green, Tagebücher, 26. 9. 1996

Freitag, 26. Oktober 2012

Kraft der Versammlung

"Wenn nämlich ich in so kurzer Zeit zu eurem Bischof in so enge Beziehung getreten bin, die nicht menschlich, sondern geistig ist, um wieviel mehr muß ich euch glücklich preisen, die ihr (ihm) so fest verbunden seid, wie die Kirche mit Jesus Christus und wie Jesus Christus mit dem Vater, damit alles in Eintracht zusammenstimme? Keiner lasse sich irreführen: Wer nämlich nicht innerhalb der Opferstätte ist, der kommt um das Brot Gottes. Wenn nämlich das Gebet eines einzigen oder zweier (Menschen) eine solche Kraft hat, um wieviel mehr das Gebet des Bischofs und der ganzen Gemeinde? Wer also nicht zur Versammlung kommt, der ist schon von Hochmut besessen und hat sich selbst gerichtet. Denn es steht geschrieben: "Den Hochmütigen widersteht Gott". Hüten wir uns also davor, mit dem Bischof uns zu entzweien, damit wir im Gehorsam gegen Gott verharren."

Ignatius von Antiochien,  Brief an die Epheser, ca. 115 n. Chr.

Montag, 22. Oktober 2012

Korrelation und Entwicklung

"Es gibt in der Tat eine Konvergenz oder Korrelation zwischen dem, was die Botschaft des Evangeliums als Verheißung, Forderung und Kritik aufstellt, und dem, was der Mensch als Befreiung in seinem Widerstand gegen die Bedrohung des gesuchten Humanum erfährt. Die christliche Botschaft gibt eine verheißungsvolle und kritische Gegen-Antwort auf die lebendige Praxis der Menschheit, soweit diese auf der Suche nach innerem und gesellschaftlichem "schalom" ist. Ob man diese christliche Antwort nun akzeptiert oder ablehnt, man kann nicht leugnen, daß sie als Antwort (in der Form der Verheißung, Möglichkeit, Perspektive, Kraft oder Kritik) historisch relevant ist, sinnvoll für den, der danach sucht, was der Sinn des menschlichen Lebens, individuell und kollektiv, persönlich und politisch-gesellschaftlich ist. Damit ist die christliche Botschaft verständlich geworden. Doch bedarf diese "negative Dialektik" noch einer inneren Ergänzung."
Edward Schillebeeckx, 1970

Donnerstag, 18. Oktober 2012

Umfassendes Koordinatensystem der Erlösung

"Mit unterschiedlichen Auffassungen von konkreten Normen für eine hier und jetzt erforderliche Menschenwürde leben zu lernen wird zu den Aufträgen moderner lebbarer Menschlichkeit gehören. Die Trauer über diesen Pluralismus gehört zu unserer (vor allem modernen) condition humaine, mit der wir fertig werden müssen, und zwar eben nicht durch diktatorische Ablehnung anderer Auffassungen. Auch diese Lebenskunst gehört zum wahren, guten und glücklichen Menschsein innerhalb der Grenzen unserer Geschichtlichkeit und Vergänglichkeit, wenn wir nicht "Megalomanen" werden wollen, die es sich in den Kopf gesetzt haben, über ihre menschliche Vergänglichkeit hinauszuschießen. Aber der Wile zum Heil aller und jedes einzelnen Menschen darf andererseits auch nicht von der "Politik" als der sogenannten Kunst des Möglichen, des Machbaren oder Erreichbaren ausgehen. Politik ist eher die schwierigere Kunst, das, was für menschliches Heil notwendig ist, tatsächlich auch möglich zu machen.
Christliches Heil, in der schon jahrhundertelangen biblischen Tradition Erlösung genannt und als Heil-von-Gott-her für Menschen gemeint, hat also mit dem ganzen Koordinatensystem zu tun, in dem der Mensch wirklich Mensch sein kann. Man kann dieses Heil - Heilsein von Menschen - nicht nur in der einen oder der anderen dieser Konstanten suchen, etwa ausschließlich in "ökologischen Appellen", im ausschließlichen "Seid nett zueinander", im ausschließlichen Umsturz eines Wirtschaftssystems (des marxistischen oder kapitalistischen) oder in ausschließlich mystischen Erfahrungen: "Halleluja! Er ist auferstanden!" Andererseits ist die Synthese von all dem ein eindeutiges "Schon-jetzt" und "Noch-nicht". Die Art und Weise, wie menschliches Scheitern und menschliche Mißerfolge verarbeitet werden, wird eine (vielleicht die wesentlichste) Form von "Befreiung" genannt werden müssen. Das könnte dann wahrscheinlich die allumfassende "anthropologische Konstante" sein, in der Jesus der Christus uns vorangehen wollte."

Edward Schillebeeckx, Christus und die Christen, 1977

Mittwoch, 17. Oktober 2012

Vertrottelung

"Muß man nicht davon ausgehen, daß die den Haß und die Verzweiflung bzw. die Apathie nährenden Gegensätze nur dann in nichtkatastrophischer Weise überwunden werden können, daß also die Armen und Ausgebeuteten nur dann ohne Explosion des Hasses aus ihrem beschädigten, von Anbeginn entstellten Leben heraustreten können, wenn es in den reichen Ländern dieser Erde (und nicht nur bei den mitleidlos reichen Raffern innerhalb der unterdrückten Völker selbst) zu einer Revision der Lebensprioritäten kommt, wenn also hier eine Umkehr der Herzen gelingt? Werden nicht moralische Maßnahmen zu einer weltpolitischen Größe - oder umgekehrt, rücken nicht in neuer Weise Ökonomie und Politik in die Moral ein?
Christen sind davon überzeugt, daß eine solche moralische Umkehr sich nicht selbst trägt, wenn sie nicht von Religion getragen ist. Sie gehen davon aus, daß, wo Religion nicht nur unter den sogenannten Aufklärungseliten verschwindet, sondern wo sich auch im Volk das Gerücht von der Existenz Gottes nicht mehr hält, die "Seele" des Menschen selbst erlischt und schließlich die Apotheose der Banalität oder des Hasses ausbricht: Der einzelne wird zur Maschine, zu einem neuen Tier oder zur bloßen Strafsache totalitären Zugriffs. Gerade deshalb ist, angesichts der geschilderten Situation, das Christentum mit seinen moralischen Reserven und seiner Fähigkeit zur Umkehr auf den Prüfstand der Geschichte gerufen. Es scheint mir, als wäre heute nichts dringlicher gefragt als die aus einem messianischen Christentum entspringende moralische und politische Phantasie, die nicht einfach die Kopie von bereits in Geltung gesetzten politischen und ökonomischen Strategien wäre."

Johann Baptist Metz, Messianische oder bürgerliche Religion?

Vergessen

"Nachdem der Stammvater des Menschengeschlechtes infolge seiner Schuld aus dem Paradies der Wonne verstoßen war, kam er in dies Elend der Blindheit und Verbannung, das wir erdulden müssen; denn durch die Sünde kam er ganz von sich selbst und konnte die Freuden des himmlischen Vaterlandes, die er vordem geschaut, nun nicht mehr sehen. Der Mensch war nämlich im Paradiese gewohnt, Gottes Wort zu lauschen und reinen Herzens in erhabenen Gesichten mit den heiligen Engeln zu verkehren. Als er aber in dieses Elend herabsank, entfernte er sich auch von dem Lichte der Seele, das ihn bisher erfüllt hatte. Wir, die wir aus seinem Heische in der Finsternis dieser Verbannung geboren sind, haben davon gehört, daß es ein himmlisches Vaterland gibt, haben gehört, daß die Engel Gottes seine Bürger sind; wir haben gehört, daß die Genossen dieser Engel die Seelen der Gerechten und Vollkommenen sind. Die fleischlichen Menschen aber, die diese unsichtbare Welt nicht aus Erfahrung kennen, zweifeln, ob das auch wirklich existiere, was sie mit ihren leiblichen Augen nicht sehen können. Dieser Zweifel konnte bei unserem Stammvater nicht vorhanden sein, weil er nach seiner Vertreibung aus dem Paradiese die verlorene Seligkeit im Gedächtnis behielt, da er sie ja geschaut hatte. Jene aber können sie sich, wenn sie davon hören, nicht vorstellen und sich nicht daran erinnern, weil sie nicht wie Adam wenigstens in der Vergangenheit die Seligkeit gekostet haben."

Gregor der Große, Dialogi, 4,1

Montag, 15. Oktober 2012

Versöhnte Welt - mundus reconciliatus



Was ist oder was könnte eine „versöhnte Welt“ sein? Ist eine solche möglich? Eröffnet sich die Vorstellung einer solchen vergegenwärtigten Versöhnung? Wäre sie real möglich? 

Alle diese Fragen gehen aber schon aus von so etwas wie einem Zustand der „Unversöhntheit“ der Welt oder von einem Zustand, der als solcher festgestellt oder bezeichnet werden könnte, der aber vielleicht nichts anderes als Naturgegebenheit, Geschick oder pure Faktizität des Ungünstigen und Faliblen ist. 

Gibt es aber nicht auch zugleich eine tiefe Erwartung, Erhoffnung und Sehnsucht nach der und der Versöhnung in und der Welt? Braucht auf jene gerade eingebrachten Einwände, ob es denn überhaupt so etwas wie eine Unversöhntheit der Welt gebe, eingegangen zu werden? Entstammen sie nicht nur letztlich teillegitimen und abkünftigen Bereiche einer abstrakten und zergliedernden Intellektualität und dann auch Unnatürlichkeit, welche nicht DIE Wirklichkeit als solche im Blick behalten. Und ist nicht ein wirklicher „herzzentrierter“ und gemitteter und wesentlicher Blick und sein Fragen, das die eigentliche ursprüngliche lebensweise Ursprünglichkeit besitzt und behält, derjenige Blick, der die gesamte Wirklichkeit im Visier behält und aushält und der dann auch ganz selbstverständlich von jener Unversöhntheit der Welt weiß und sie vernimmt und sich ihr als die eigentliche Lebensweisheit stellt und sie zu untersuchen versucht, um sie vielleicht auch ihrer Lösung zuzuführen oder um sie dorthin zu führen und auf die Weise auszulegen und aufzuschießen, dass sie an Quellen anschlüssig wird, welche sie in eine Aufhebungs-, Lösungs- und Heilungsbewegung bringen? Diese „ursprüngliche Weisheit und ihr Blick“ ist, das muß vorausgehend festgelegt werden, keine eigentlich nur „natürliche  Intuitivität“ (und d.h. nicht ernstnehmbare unreflexe, vorwissenschaftliche Vermeintlichkeit). Sie ist auch kein Überwissen. Sie ist nicht ursprünglich und gemittet im Sinne von naiv, primitiv und unentfaltet. Nein, sie ist der Ausdruck für jene „lebensmäßige“ und d.h. -gesättigte Fülle der Versammlung und Ermöglichung jeglicher Verständigkeit, Absichtlichkeit und Wahrnehmbarkeit, für jenen Zugriff, Eingriff und jede Wahl. Sie ist jenes, was die Griechen ursprünglich nous nannten. Das Vernehmen. Vernehmen im vollumfänglichen und zugleich bestimmtesten Sinne des Wortes. Sie ist die eröffnete Sicht der adäquaten Methode der Vernehmung und Behandlung von Lebens- und Wirklichkeitsverhältnissen wie solchen, um die es hier geht und damit der Bestimmungsmodus der Erkenntnis jeglicher rein verstandesmäßigen Abkünftigkeit, Vorläufigkeit oder Ausdifferenzierung und Zersetztheit. In diesem Sinne ist sie dann auch die höchste mögliche, ja die optimale natürliche Erkenntnisfähigkeit und -vermögen. Sie ist das, worum es Platon in seinem logos des nous ging, welcher wirklichkeitserschließend ist und was das bei Hegel die absolute Vernunft der Wirklichkeit wird und Wirklichkeit als Vernunft, eingelegte Idee ohne ihre monistische Überspannung und Anmassung mitvollziehen zu müssen, welche sie dann eh vor sich aufheben und zerstören müsste und würde. 

In diesem Sinne ist Unversöhntheit dann wahrnehmbar in einem ganz eminenten und ursprünglichen Sinne. Sie wird einer Hinwendung und Aufmerkung vernehmbar als eine Wunde, ein Riß und ein Geschwürgebilde der Welt. Dies sind, wie gesagt, keine unelaborierten vorreflexen, primitiven und inadäquaten Bilder oder Verstandesbilder für eine transzendente Wirklichkeit. Nein sie sind ihre eigentlichen und Auf-den-Punkt-Bringungen und Erfassungen. In ihnen ist das Verhältnis der einzufangenen Wirklichkeit des Phänomens adäquat erfasst und (noch dazu) anschaulich bezeichnet. 

Muss und soll über diese, solchermaßen wahrgenommene und d.h. vernommene, Unversöhntheit (und Verderbtheit) auslegend und analysierend etwas gesagt und gearbeitet werden? Gibt es nicht hinreichende Auslegungen und Analysen dieses Verhältnisses, die teils bis ins Wurzelhafte seiner gehen, um ihn vollkommen bloßzulegen? Ist eine andere als eine schweigend-vernehmende und so sich entsetzende Haltung und Vernehmung einer solchen Tragödie des Vernommenen und der Vernehmung überhaupt angemessen? Kann je mehr gesagt werden als in diesem überaus wissendem, verstehendem und mitleidenden und trotzdem aushaltenden Zustand und Modus der schlichten Ver- und Annahme?

Wird aber diese Zuständlichkeit der Welt überhaupt hinreichend wahrgenommen, um somit erneut zu einem Modus eines der ersten Einwände zu kommen. Sei es in Verdrängung, Verschweigung, Angewöhnung, Für natürlich Haltung oder auch in schlichter absetzender Empörung äußern sich Modi der Abschiebung jenes Zustandes in seiner Ganzheit und eben auch lebensmäßigen Wuchtigkeit und Materialität. Verstellen nicht solche Vernebelungen die Möglichkeit seiner Realisierung und dann auch möglichen Verwandlung? Von hieraus wird, wie mir scheint, dann doch kurz notwendig wenigstens wesentliche Grundstrukturen des Unversöhntheitsmodus auszusprechen oder zu vergegenwärtigen: Es ist einerseits eine allgemeine und einfache Art einer grundsätzlichen, typologischen und allgemeinen Antagonalität (auch des Gleichen oder des Selben eben!). Andererseits scheint mir eine zweite Dimensionalität oder Komponente der allg. Unvesöhnheit eine zu sein, die in der modernen Zeit wenig oder überhaupt keine Beachtung findet, die aber als die sogar grundbestimmende und wesentlichere erkannt werden könnte: nämlich die der trans-immanenten Unversöhntheit oder Unstimmigkeit, wie ich diesen Komplex nennen möchte. Es handelt sich hier, so könnte man auch sagen, um eine grundsätzliche und grundlegende Unstimmigkeit oder Irritation des Bedingungs-Bedingten-Verhältnisses, des Ursprungs-Abkunfts-Verhältnisses, des Schöpfungs- und Geschöpflichkeits-Verhältnisses (bei welchem nicht mehr ausgemacht ist, ob es Zustand „normaler und allgemeingültiger“ Betrachtung oder Kategorialität überhaupt sein kann und somit (für diesen Bereich) überhaupt besteht.) Das eigentliche gesamte Unversöhntheitsverhältnis ist aber dann in seiner Gesamtheit ein komplexes, kreuzweises und kreuzigendes Verhältnis aus diesen zwei Komponenten, Dimensionalität und Ebenen, welche in ihrer (häufig ausschlußhaften) Wechselergänzung das eigentlich „schwierige“ Wesen der Unversöhntheit ergeben.
Wenn wir das wissen und wenn wir annehmen, bzw. unausweichlich hinzunehmen müssen, dass wir letztlich in ihren obersten und dann auch bestimmendsten Bereichen in einer Welt des Bewußtseins und des freien Willensentscheidungsvermögens also des bewußten Entscheidungsvermögens leben, dann ist klar, dass Unversöhntheit aus sich und rein für sich betrachtet als solche nicht möglichkeiten und Modi ihrer Aufhebung und Lösung hat. Eine Unversöhntheit ist wesentlich durch ihre intrinsische Resonanzverstärkung und d.h. Ultimatisierung und d.h. Verabsolutierung bestimmt. 

Dies aber bedeutet nicht, dass es trotz einer solchen, ich möchte sagen faktizistisch-technischen-immanenten Unmöglichkeit der Auflösung, vielmehr der Prädestination der Vernichtung und Unauflöslichkeit, nicht gerade neben diesen und durch diese eine autonome Dimensionalität gibt, welche gerade im direktproportionalen Modus ihrer Intensivierung und Verwirklichung eine Offenheit und Herbeiwendung einleitet und auslöst, welche zu einer echten Hilfsmöglichkeit und auch Auflösung verhelfen und welche sie eben als Versöhnung herstellen, als versöhnte Welt eben aufgängig machen kann. 

Die plötzliche mögliche Hoffnungs- und Sehnsuchtseröffnung gerade innerhalb einer völlig aussichtslos scheinenden Verklintschung und d.h. eben festgefahrenen Unversöhntheit ist der Abhebungshorizont vor und in welchem jene Verschränkung allererst disanziert und instrumentalisiert und so möglicherweise auch anverwandelt, aufgelöst und eben versöhnt werden kann. 

Wichtig scheint auch zu sein, da wir uns ja eben in auch personalen und letztlich personalen Unversöhnungsverhältnissen der Welt bewegen (Wir sind immer unversöhnt! Nicht eine allgemeine, vorlgängige, naturale „Welt“.), festzustellen, dass die Beschaffenheit jener sich abhebenden Horizontalität der Hoffnungs- und Sehnsuchtseröffnung als Abhebung schon dann aber auch letztlich personal beschaffen sein muss, wenn sie eine Relevanz haben und behalten soll für die personal Unversöhnten. Und weil sie nicht das Selbst der Unversöhnten selbst sein kann, die ja eben unversöhnt sind, muss es das Selbst des Ganz anderen sein, welches dann auch von sich aus in dieses Unversöhnungsverhältnis hineinkommen muss und gekommen sein muss, um zu versöhnen. Dieses absolute und letzte, versöhnende und versöhnungsermöglichende Instanz wird aber eben innersystemisch, wie jener neue Horizont, ein Ersehntes, Gewünschtes, Erträumtes, aber letztlich doch nicht Vorhandenes und Irreales, Eingebildetes und deshalb Verleugenbares sein und bleiben müssen. Es wird diese sehnsuchtsbestimmte leere morphogenetische Form sein und bleiben müssen, welche das System prägt, die aber auch immer wird ausgefüllt werden müssen, um Realität, reale Versöhnungseröffnung und dann auch reale und echte Versöhntheit zu sein: versöhnte Welt eben. 

An dieser Stelle möchte ich mit dieser Auseinandersetzung des „Unversöhnungs-Auflösungs-Verhältnisses“ (von Seiten der Unversöhnung und der Welt) halten. Sie ist sowieso zu weit reingegangen, was sie nicht wollte. Der Titel des Textes lautet ja „versöhnte Welt“. Es war jedoch nötig in die Beschaffenheit und auf die Beschaffenheit dieser Unversöhnung der Welt sich einzulassen, sie soz. als solchen leibhaftig zu vergegenwärtigen. Gleichzeitig wurde dabei eine Schicht und Komponente dieses Fleisches der Unversöhnung deutlich, die sich als die morphogenetisch leere Form der Sehnsucht (der Unversöhnungsüberwindung) erzeigt hat, welche auch an jener Unversöhntheit, soz. als ihre Phantombestimmtheit ist. 

Aus welchem Zusammenhang stammt aber die Rede von der „versöhnten Welt“? Die Wendung, um es direkt zu sagen, ist eine Wendung des Hl. Augustinus, welche der Hl. Augustinus als der am meisten von der Welt kommende und der am meisten einflußreiche westliche Kirchenlehrer als mundus reconciliatus für die Kirche als solche gefunden und geprägt hat. Die Wendung ist an sich keine Nominalbezeichnung. Sie bezeichnet vielmehr oder ist die Beschreibung oder Erfassung des Gesehenen und wesentlich Bestimmenden der Kirche: Sie ist in irgendeiner Weise (auch und vor allem im Verhältnis und d.h. im ständigen Vergleich) die „versöhnte“ Welt. In ihr findet sich die Welt (das an ihr offenkundig Unversöhnte und Unheile und dann auch Offensichtliche) versöhnt. Augustinus benennt aber gerade die Kirche nicht „als etwas anderes“ der Welt. Die Kirche ist der mundus, der rekonziliiert ist. Sie ist die Welt, die versöhnt ist. Sie ist die Welt im Modus der Versöhntheit. Wie das? Und wie schrecklich für die Welt. Oder doch nicht? Eigentlich nicht! Denn es ist ja die versöhnte Welt. Wohl ist der Augustinus der erste gewesen, der die beiden Welten im wahrsten Sinne des Wortes (in seiner Civitas) auseinandergelegt hat. Auf eine gefahrvoll manichäistische Art hat er zwei Ursprünge und damit scheinbar zwei eigenständige Substanzialitäten letztlich aus dem Welt- und dem Gottesstaat gemacht und hat es nicht geschafft, wie es seiner Lehre vom Wesen des Bösen adäquat und analog gewesen wäre, sie als eine Devianz des Einen aufgängig zu machen, so dass der Weltstaat hätte als ein defizienter Modus der Civitas Dei offenkundig und präsent werden müssen, welcher immer nur als Nicht-Sein des Optimus der reinen Civitas ist. Wie dem auch sei, die Bezeichnung mundus reconciliatus soll für sich genügen, jene selbstdifferente Selbigkeit des Versöhnten und Unversöhnten präsent bleiben zu lassen, um an ihr in das Wesen jener Versöhnung, um die es eigentlich geht, zu gelangen. 

Wie ist eine Versöhnung der Welt möglich und ist sie möglich? 

Die wenigen kleinen Bemerkungen und Überlegungen sollten offensichtlich gemacht haben, inwiefern die Welt, um der Möglichkeit einer grundsätzlichen Lösung ihres noch grundlegenderen Unversöhntheitsverhältnisses der Eröffnung der Möglichkeit einer Offenbarung und Offenbartheit des Angebotes, der Möglichkeit und dann auch vielleicht auch Wirklichkeit ihrer Versöhnung bedarf, einer die den oben herausgestellten Kriterien genügt, die ihnen angemessen entgegenkommt und auch in der Hinwendung der Unversöhntheit der Welt gerade im Modus und Zustand ihrer Unversöhntheit in der Hinwendung des Blickes zu deren historischer Vorhandenheit oder Möglichkeit ausfindig und bereitgestellt finden kann. 

Der Versöhnung hängt wesentlich mit der Öffnung für diese Annahme zusammen. Nicht von ungefähr bezeichnet das deutsche Wort Versöhnung den Sohn, welcher dann in jener Offenbarung als jener personale Mittler entgegenkommt des allgemeinen Versöhnungsgrundes und Horizontes  (als der Hervorbringer des Ganzen .. Versöhnten und Heilen..), welcher in der Macht des Heiligen Geistes, des Geistes der Versöhnung eben, einzig in der Lage ist und sein wird (wie immanent-struktural gesehen wurde und werden kann), jene Versöhnung dann zu vollbringen und Wirklichkeit werden oder geworden sein zu lassen. 
In diesem Sinn wird dann versöhnte Welt und Versöhnung der Welt: Kirche. 

Mittwoch, 10. Oktober 2012

Ängstliche Blindheit


SINN, SCHÖNHEIT & VERNUNFT

"Eine zweite Überlegung bezieht sich nun nicht mehr auf das pure Dass des Seins. Sie betrachtet sozusagen das Design der Welt; das Modell, in dem sie gebaut ist. Aus jenem »Es werde« ging ja nicht ein chaotischer Brei hervor. Je mehr wir von der Welt erkennen, desto größer tritt uns aus ihr eine Vernunft entgegen, deren Wege wir nur staunend nachdenken können. Durch 
sie hindurch sehen wir ganz neu jenen Schöpfergeist, dem auch unsere eigene Vernunft sich verdankt. Albert Einstein hat einmal gesagt, dass sich in der Naturgesetzlichkeit »eine so überlegene Vernunft offenbart, dass alles Sinnvolle menschlichen Denkens und Anordnens dagegen ein gänzlich nichtiger Abglanz ist«6. Wir erkennen, wie im Allergrößten, in der Welt der Gestirne sich eine machtvolle Vernunft offenbart, die das All zusammenhält. Immer mehr lernen wir aber auch, in das Allerkleinste, in die Zelle, in die Ureinheiten des Lebendigen hineinzuschauen; auch hier entdecken wir eine Vernünftigkeit, die uns staunen lässt, so dass wir mit dem heiligen Bonaventura sagen müssen: »Wer hier nicht sieht, ist blind. Wer hier nicht hört, ist taub, und wer hier nicht anfängt anzubeten und den Schöpfergeist zu lobpreisen, der ist stumm.« Jacques Monod, der jede Weise von Gottesglaube als unwissenschaftlich ablehnte und die ganze Welt auf das Zusammenspiel von Zufall und Notwendigkeit zurückführt, erzählt in dem Werk, in dem er diese seine Sicht der Welt zusammenfassend darzustellen und zu begründen versucht, dass nach den Vorträgen, die dann zum Buche wurden, Francois Mauriac gesagt habe: »Was dieser Professor sagt, ist noch viel unglaublicher, als das, was wir armen Christen glauben.« Monod bestreitet nicht, dass es so ist. Seine These lautet, das ganze Konzert der Natur steige aus Irrtümern und Misstönen auf. Er kann nicht umhin, selber zu sagen, dass eine solche Auffassung eigentlich absurd ist. Aber die wissenschaftliche Methode — so sagt er — zwingt dazu, eine Frage nicht zuzulassen, auf die die Antwort »Gott« heißen müsste. Welch armselige Methode — kann man da nur sagen. Durch die Vernunft der Schöpfung blickt uns Gott selber an. Physik und Biologie, die Naturwissenschaften überhaupt, haben uns einen neuen, unerhörten Schöpfungsbericht geliefert mit großen, neuen Bildern, die uns das Angesicht des Schöpfers erkennen und uns von neuem wissen lassen: Ja, am Urbeginn und Grund allen Seins steht der Schöpfergeist. Die Welt ist nicht ein Produkt des Dunkels und des Sinnlosen. Sie kommt aus Verstehen; sie kommt aus Freiheit, und sie kommt aus Schönheit, die Liebe ist. Dies zu sehen gibt uns den Mut, der uns leben lässt; der uns ermächtigt, getrost das Abenteuer des Lebens auf uns zu nehmen."

aus Joseph Ratzinger, Im Anfang schuf Gott.. Über Schöpfung und Fall

Grund und Boden


"Aus der Möglichkeit des Eigentums und den daraus ermöglichten Rechtskonstrukten der Verpfändung und der Belastung eines Eigentums oder Vermögens leiten Heinsohn/Steiger schließlich die Entstehung des Geldes ab. Sie unterscheiden Gesellschaften danach, ob sie das Eigentum als Rechtsinstitution kennen. Gesellschaften ohne (privates) Eigentum, die sie Besitzsysteme nennen, sind in ihrer Kategorisierung demnach die Stammesgesellschaften, der Feudalismus und der Sozialismus. Eigentumsgesellschaften sind dagegen die antiken Stadtstaaten Mesopotamiens, Griechenlands und Rom sowie der Kapitalismus. Diese Eigentumsgesellschaften sind immer, so die Autoren, durch politisches Handeln, durch Revolutionen der vordem Leibeigenen oder Knechte (Hvhg. durch mich) geschaffen worden, nicht jedoch aus den Besitzsystemen organisch gewachsen. Klassisches Beispiel ist ihnen der Gründungsmythos Roms, wonach Romulus und Remus ihren adeligen Stiefvater Ämilius totschlagen, Romulus sodann dessen Land in gleich große Parzellen teilt und sie unter seinen Mitstreitern verlost. In diesem Moment sei Eigentum gesetzt worden, es sei aus dem Besitzsystem, in dem alle unter der Regie des Herrschers gemeinsam arbeiten und nach dessen Gutdünken an den Früchten der Arbeit teilhaben, die Eigentumsgesellschaft geschaffen worden. Klar wird an diesem Beispiel auch, dass Heinsohn/Steiger vor allem über das Grundeigentum reden. Plausibel wird die damit einhergehende Geschichtsinterpretation auch dadurch, dass die Verfügungsgewalt über den Grund und Boden der zentrale Punkt der Auseinandersetzung in allen gesellschaftlichen Konflikten und Kriegen war."


Lucas Zeise in seinem Buch "Geld - der vertrackte Kern des Kapitalismus"
über Gunnar Heinsohns/Otto Steigers Eigentumstheorie des Geldes