Dienstag, 20. Mai 2014

Der verborgene Herrscher im "Innern"

"Erinnerst du dich, aus welchem Vaterlande du stammst? Dieses wird nicht wie einst die Stadt der Athener durch die Herrschaft der Menge gelenkt, sondern "Ein Herrscher ist, ein König", und dieser freut sich an der Fülle seiner Bürger, nicht an ihrer Vertreibung; von seinen Zügeln sich leiten zu lassen, seiner Gerechtigkeit zu gehorchen, das ist die höchste Freiheit. Oder kennst du nicht jenes uralte Gesetz deines Staates, wonach ein jeder, der einmal ihn zu seinem festen Wohnsitz erwählt hat, niemals sein Heimatrecht zu verlieren braucht? Denn wer von seinem Wall und seiner Schutzwehr umschlossen wird, hat nicht zu fürchten, dass er je seine Verbannung verdiene. Aber wer aufhört, diesen Wohnsitz zu schätzen, hört gleicherweise auf, ihn zu verdienen. Deshalb bewegt mich nicht so sehr das Angesichts dieses Ortes, als vielmehr das deine, und ich suche lieber als die mit Elfenbein und Kristall geschmückten Wände deiner Bibliothek den Sitz deines Geistes auf; dort habe ich einstmals nicht Bücher, sondern, was Büchern erst Wert verleiht, den Sinn meiner Bücher niedergelegt."

Boethius, Trost der Philosophie, Erstes Buch p5 Zeile 9-23