Sonntag, 7. Juli 2013

Das Mainzer Tryptichon II Die Grunderfahrung der Liebeseröffnung und Lebensverwandlung



„Der Glaubende wird von der Liebe verwandelt, der er sich im Glauben geöffnet hat. In seinem Sich-Öffnen für diese Liebe, die ihm angeboten wird, weitet sich sein Leben über sich selbst hinaus.“ (Abschnitt 19)

Lumen fidei, Franziskus

1. Der obige Satz der Enzyklika Lumen fidei über den Glauben von Papstes Franziskus erfasst im Wesentlichen das Geschehen, welches mit dem christlichen Gläubigen passiert. Der Glaubende öffnet und d.h. setzt sich der Liebe im Akt des Glaubens aus, die ihn damit verwandelt und in eine Bewegung der Wandlung hineinzieht. In dieser VerwandlungsAussetzung wird das Leben in eine Drehung hineingezogen, welche eine Öffnung „über sich hinaus“ ist. 

Aber sind wir von der Liebe erfasst und von welcher Liebe können wir erfasst werden, welche uns in eine solche Verwandlungs- und Überschreitungsbewegung hineinziehen könnte?

Die Rede von der Liebe, ja von der Liebe Gottes und vom Gott als Liebe gehört zu den Gemeinplätzen der christlichen Religion und ist trotzdem - so meine These - nicht weniger dunkel und unbetreten bis auf den heutigen Tag geblieben. 
Nicht aber, dass die Liebe erklärt werden kann. Sie ist ja gerade jenes, das unerklärlich bleibt und gerade dadurch umso wirksamer ist. Sie bedarf keiner Erklärung und so wirkt sie umso mächtiger. Die Liebe ist ein Geschenk, eine Gabe, eine Gabe der Überströmung. Wer liebt überströmt und wer geliebt wird, wird überströmt, eingefasst und trotzdem stehen gelassen, in seiner Selbsthaftigkeit unangetastet gelassen. 

Das ist geschenkt. Und trotzdem bedarf - so meine zweite These -gerade diese Liebe einer metaphysischen oder philosophischen Vermittlung und Aufklärung, wie ich es nennen möchte. Sie bedarf ihrer, wie gesagt, nicht als ihrer Begründung oder Bedingung. Sie bedarf ihrer nur höchstens als Vermittlung und Eröffnung, einer Eröffnung, die sonst leicht der Gefahr zum Opfer fällt, unbemerkt und mißachtet geblieben zu sein, weil sie dem Vernehmen zu schwer wäre und das gerade in ihrer Unmerklichkeit, in der sie gelegentlich zu  erscheinen pflegt. 

Was meine ich damit? Was meine ich mit einer metaphysischen oder philosophischen Vermittlung der theologalen Liebe von der das Christentum ausgeht und von der es (die ganze Zeit) redet und die es eigentlich zu verkünden hat?

Ich meine damit, eine solchartige Aufschlüsselung der Existenzialstrukturen, dass die Notwendigkeit, der Fehl oder die Tatsächlichkeit von so etwas wie der grundexistenzialen Liebesbedingung und des grundlegenden Liebesereignisses offenkundig wird oder in seiner Notwendigkeit ersichtlich wird. 

Der Mensch lebt auch vor allem, wenn er nicht im Gnadenzustand der supranaturalen Eröffnetheit einer solchen grundlegenden Liebe und der Eröffnetheit und Plausibilität der offenbarungs- und überlieferungsmäßigen Mitteilung und Überlieferung lebt, in einem Zustand der philosophischen Vorläufigkeit seiner Selbstverständigung und -vermittlung. Philosophisch meint hier nicht, dass er grundsätzlich immer aktiv systematische Philosophie (wie ein Hochschulprofessor für Philosophie) betreibt. Philosophisch meint und bezieht sich eher auf den Modus seiner Selbst- und Weltvergegenwärtigung, welche - und das gilt typologisch für den Modus seiner gegenwärtigen postaufklärerisch abgeklärten Eröffnung - die Metaphysik und die Grundbedingung seiner zumeist wissenschaftlich-rational-instrumentalen Selbstvermittlung ist. 
So gesehen bedarf eine Eröffnung oder eine versuchte Annäherung, Thematisierung und vielleicht dann Eröffnung und Hinleitung der grundexistenzialen Liebesbedingtheit und -erfahrung oder ihres Fehls und Mangels der vermittelnd-vorbereitenden Eröffnung und Eruierung über den Modus der Selbstvergegenwärtigung und -verständigung selbst, um wahrnehmbar und vermittelbar zu sein und zu werden. 

Das Christentum redet ja von einem Geschehen und einer Gegebenheit und Eröffnung der alles versöhnenden, heilenden und heiligenden Liebe Gottes in und durch Jesus Christus, welcher in seinem Tun und durch sein Tun, diese Gegebenheit und Tatsächlichkeit der allgegenwärtigen und allgegenwärtigenden Liebe Gottes eröffnet und d.h. präsentabel gemacht hat. 

Im Tun Jesu und durch sein Tun (und d.h. auch in und durch sein „postmortales“ Tun als sakramental-leibhaftig gegebener und gegenwärtiger Christus) vermittelt und ereignet sich, geschieht leibhaftig jenes, was die grundexistenziale Erfahrung und Gegebenheit der grundexistenzialen Liebe Gottes an seine Kreatur ist und was theologal in der Rede vom Werden der Gotteskindschaft bezeichnet wird. 

Wie ist aber dieses existenzstruktural vermittelbar und damit eröffenbar?

Der Mensch ist ja das Wesen, das als Mensch vollbewußt heilserwartend ist und das diese existenziale Heilserwartung aber nicht natural im Sosein seiner Existenzerfahrung erfährt. Insofern ist die Rede von der Geworfenheit des Menschen, in welcher die Existenzphilosophie die Grunderfahrung des Menschen in der Welt zu fassen versuchte, nicht ganz an der realen Erfahrung der Existenz vorbei gewählt. Die Erfahrung ist aber viel schlimmer und deswegen auch viel betäubter in der bewußten Selbstwahrnehmung. Der Mensch ist nicht als tierischer Wurf in seinem Leben ausgesetzt, was ja an sich nicht so tragisch und verheerend wäre, denn ein Tier beklagt meistens nicht den Zustand seiner Geworfenheit, weil es ihn als solchen nicht vernimmt. Der Mensch hat aber als Mensch das Vermögen der Aussetzungswahrnehmung und als solcher erfährt er sich in der Welt. Aus diesem Grund ist die Betäubungsneigung und -bedürfigkeit des Menschen verständlich. Mit allen möglichen dürftigen Bekleidungen und Bedeckungen versucht der Mensch seine Nacktheit und Unbehaustheit notdürftig zu kaschieren und zwar des nackten Schutzes wegen.
Der Mensch findet sich - und das auch noch in den scheinbar versorgtesten Verhältnissen - vor in Zuständen und Bedingungen, die nicht ideal sind und die ihm somit jeden Augenblick seine Verletzbarkeit und Ausgesetztheit bewußt machen müßten, was auch nur als geringe Defektivität für den Menschen als das offen wahrnehmende geistige Wesen das Tödliche und das Verheerende ist. Der Mensch ist als Mensch und d.h. mit seiner geistigen Vernahme auf das Heile und Vollkommene angelegt, das ihm das Natürliche und Angemessene ist. Alles andere - seine Todesverurteiltheit, seine Krankheits- und Verletzungsanfälligkeit, seine Gewaltbedrohtheit und Hassausgesetztheit - sind auch noch in minimalen Dosen verheerende Vergegenwärtigungen einer Gefallenheit und naturalen Gebrochenheit, die ihm die Lebensbedingungen zu einem Ort permanenter Scheiternbewußtheit gewärtigen und so zu Unwohnorten machen lassen. Der Mensch ist in dem Zustand seiner Bedingung, in der er ist, nicht wohl und nicht wohl aufgehoben. Ja, er ist im präzisen Gegenteil dessen. 

Dieser kurze Exkurs zur Grundbedingtheit der menschlichen Existenz hat nicht zum Zweck eine Elaboration über den defektibilen Zustand und die Gefallenheitsweise der Natur zu haben. Vielmehr liegt ihr Zweck in unserem Zusammenhang nur darin, auf die Offenheit der Angewiesenheit der Existenzgrundstrukturen auf so etwas wie eine bergende und dann auch heilende Zuwendungserfahrung aufmerksam zu machen. Die Existenz des menschlichen Lebens ist auf eine heilende Liebeszuwendung angewiesen und letztlich nur auf sie angewiesen und von ihr abhängig. 

Die grundexistenziale Liebe und Liebeserfahrung, das wird aus der kurzen grundstrukturalen Exposition der Grundstruktur der Existenz deutlich, muß nicht eine heilsneutrale Liebe sein. Unser Sein ist von solcher Bedingtheit, welche zur Folge haben, dass eine Liebe für seine Bedingungen auch gleichzeitig heilsame Liebe sein und diese bedeuten müßte. Die grundexistenziale Liebe hätte, und nur als solche hätte sie in diesem unseren realen Zustand Sinn, eine grundleidheilende zu sein. Dann und danach - nach dieser Verwandlung - könnte sie dann auch eine selbstzweckhafte Liebe, einfach Liebe, überfließende und überschießende oder einfach gewisse und daseinende und zugesagte Liebe sein, welche wie die Sonne einfach das Leben und die Existenz erleuchtet und erwärmt und so sich als ihr Grund erweist, ausweist und als die Gewißheit der Präsenz des Anderen zusagt. 

Spätestens an dieser Stelle wird der Einwand eingebracht werden oder sich der Mißmut regen, welcher besagen wollen würde, dass ja diese Ableitung und scheinbare grundexistenziale Exposition und Ausweisung der Grundliebesbedürftigkeit der Existenz ja eine Wunschprojektion ist und dass die Grundstruktur der Existenz bei Leibe nicht so beschaffen ist, dass sie eine formal-strukturale Ableitung einer soz. transzendent-transzendentalen Liebesnotwendigkeit erlaubt. Vielmehr sei ja die Grundtatsächlichlichkeit der Grundstruktur der Existenz gerade als solche wahr- und hinzunehmen und alles andere wäre dem Unvermögen geschuldetes Denken, sich nicht der wenn auch harten und rauen Realität des Tatsächlichen stellen zu wollen und zu können und ihr durch die Eröffnung und dann den Aufbau von wunschprojektionalen Scheinkonstruktionen, welche den Schmerz der Ausgesetztheit überbrücken helfen sollen, diesen angeblich auszuhelfen. 

Viel ist gegen einen solchen die letzten 200 Jahre vorgebrachten Einwand entgegenzustellen versucht worden. Ich denke, dass sich gerade unter freien geistigen menschlichen Wesen ein Eingehen und dann damit eine Verteidigung gegen solche Vorwürfe aber doch erübrigt und letztlich eigentlich verbietet. Die menschliche Existenz als solche in ihrem Vernehmen, Begehren und Entwerfen hängt an den Bedingungen der Vollkommenheit und Heilheit. Diese ist geradezu gleichbedeutend mit dem Proprium des Menschlichen - so meine Gegenthese -. Und das nicht extrinsisch, offenbarungstheologisch. Die Offenbarungstheologie hilft der menschlichen Befindlichkeit nur diese ihre Eigenheit wahrzunehmen und als ihre eigenste wahrzunehmen und dann auch zu behaupten. Der Mensch in seiner Grundverfassung ist geradezu angelegt auf das Vernehmen und dann auch auf die Antwort auf jene unbedingte und unübersteigbare Grundliebeserfahrung, Gemeintheit und Gewolltheit, welche aber anfänglich, ob des Zustands seiner jetzigen Natur wegen, eine heilsame, ja erlösende sein muß und müsste. 

Nun liegt ja der Akt der Heilung und Erlösung gerade darin, das verletzte Bedürfnis der Liebesnotwendigkeit zu heilen und somit die Grundliebesbedürftigkeit überhaupt zu eröffnen. Denn diese ist ja gerade abgeschnitten und verletzt. Die Gefallenheit bedeutet ja gerade die Abgefallenheit und Abgeschnittenheit von jener allumfänglichen, bergenden und tragenden Liebe und Gewolltheit. Sie bedeutet ja gerade den Tod jenes Liebesvermögens und -sinnes. Es ist so wie wenn ein Organ bei einem Unfall abhanden kommt und gekommen ist. Die Funktion des Organs ist höchstens noch in Phantomform ausführbar und überhaupt vernehmbar. Wir sind tatsächlich metaphysisch an dieser Liebesstelle tot und unsere Erlösung besteht gerade in der (wunderbaren) Wiedererweckung dieses Vermögens und Organs. Insofern kann man hier ruhig von der Auferstehung der Toten sprechen. ...

2. „Der Glaubende wird von der Liebe verwandelt, der er sich im Glauben geöffnet hat.“

So spricht der erste Satz in dessen Auslegung wir einzudringen versuchen, um jene eigentümliche und spezifische Liebes- und Liebeseröffnungserfahrung zu befragen. 

Der Glaubende ist ja als jener, welcher unter diesen grunddefekten Verhältnissen, - aus welchen Gründen auch immer und das heißt wodurch auch immer. Denn gerade das ist ja der Fall, der in jenem defekten Zustand nicht passieren kann. Jemand, dem die Ohren abhanden gekommen sind, kann nicht plötzlich von sich aus anfangen zu hören, oder jemand, der die Augen verloren hat, zu sehen. Er muß auf eine im wahrsten Sinne des Wortes Ein-gebung reagieren, die in ihn eingelegt ist. Das ist der streng phänomenale Grund der Rede von der Gnadennotwendigkeit des Glaubens, und d.h. vor allem des Liebesglaubens, der sich der Liebe einfach geöffnet hat und d.h. wie wir jetzt streng sehen können, welcher für jene Liebe eröffnet worden ist.  Das ist was wir struktural auf dieser existenzstrukturalen Ebene sehen und vernehmen können. Wir öffnen uns aus welchem auch immer Grund dem Glauben an die Liebe (oder nicht). Das ist das einzige, was wir an dieser Stelle konstatieren können. Und werden verwandelt, werden in eine Verwandlungsbewegung hineingenommen und -gezogen. 

Wir wissen ja aber, dass hinter einer solchen strukturalen und annonymen Phänomenalität und Bewegung immer eine personale, zumindest willentliche Bestimmheit stehen muß, wenn denn auch die Liebe, die eröffnet wird und wurde, eine letztlich personale und willentliche Eigenheit hat und haben soll. Wir wissen, dass eine solche Eröffnung in einem Kontext von Erzählungen, Überlieferungen und direkten Erfahrungen steht, welche die Eröffnung personal identifizierbar und nachvollziehbar werden und sein lassen. 
Wir wissen, dass hinter der ersten und der Grunderfahrung der Liebeseröffnetheit der Existenz die Grunderfahrung der Jünger mit Jesus stand, den sie und d.h. dessen gesamtes Leben und das wiederum heißt, wessen gesamte Lebensfrucht und dessen Lebensergebnis sie als eine unmittelbare und leibhaftig konkrete Erfahrung der Selbst-vermittlung geradezu der grundexistenzialen Liebe und Zusicherung Gottes gerade in Jesu und d.h. in Jesu Leib verstanden, welcher die Gabe der unbedingten Liebe an alle, an die gesamte Existenz und Schöpfung ist, welcher seitdem innerst eingepflanzt und eingelegt ist in die Mitte der Schöpfung und noch über seinen Tod hinaus und über ihn hindurch, als die Gegenwart dieser Liebes-Selbst-Zusage, als die Zu-Gabe dieser die Ferne aufhebenden und darin zugleich den Fehl der Schöpfung behebenden Liebes-Selbst-Präsenz, welche damit die Überbietung der Heilung und Erlösung darstellt und einrichtet und damit die neue Schöpfung eigenmächtig einsetzt und zum Werden ermöglicht. 

3. Warum aber ist jener, ist gerade Jesus und kann Jesus jener sein, welcher tatsächlich jener Liebesgrundvermittler ist und sein kann?
Er ist es, weil er 1. sich hingibt und als solches haben die Jünger sein Leben und d.h. vor allem seinen Tod erfahren und er ist es, weil er 2. sich als der diese Übergabe und über diese Übergabe hindurch Überlebende erweist. Er wird als der Sich Hingebende und als der tatsächlich Gegenwärtige erfahren. Und somit wird er als das unbedingte Mit-uns-Sein Gottes erfahren, das sich unbedingt hingebende Mit-uns-Sein Gottes und dieses sich hingebende Mitsein ist ja gerade der Bedeutungssinn und dann der Ausweis der Liebe. Die Liebe erweist und beglaubigt sich in dieser Selbsthingabe. Sich selbst näher als das Herz des Beschenkten geben. Näher und inniger als das Selbst selbst dem Selbst und dem Leben sein. Das ist die Grundevidenz der dann auch heilsamen und eröffnenden Gegenwart der grundexistenzialen Liebesgegenwart und Liebeserfahrung. Das Feuer, das von innen brennt und entzündet. Die Gabe, die eingelegt und eingegeben worden ist. Die Gabe, die den Tod und die Starre der Todeserstarrtheit auflöst und ins Eröffnen des Lebens verwandelt.
Es ist eine Eröffnung und Verwandlung des Lebens in der Tat über sich hinaus.

Ein anderer Satz der Enzyklika diesbezüglich sagt:

„Das Glaubensverständnis beginnt, wenn wir die große Liebe Gottes empfangen, die uns innerlich verwandelt und uns neue Augen schenkt, die Wirklichkeit zu sehen.“ (Abschnitt 26)

Mögen wir diese große Liebe Gottes in einem vertrauenden Glauben des Ganzen und in seiner bestimmten erlösend-rettenden Geschichte unseres Lebens in Jesus, der damit der Chrsitus wird, empfangen und dann auch annehmen, damit wir die Wirklichkeit sehen und in die Wirklichkeit kommen und in ihr zur Vollendung schreiten und dann auch in der vollen Vollkommenheit gelangen.  




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