Donnerstag, 5. Juli 2012

Der Böse

Enigmatische Eröffnung des Ursprungs und der Natur des Bösen

"Da der ERSTE URSPRUNG in höchstem Maße gut ist, tut er nichts, was nicht gut wäre - geht doch vom Guten nur Gutes aus. Was aber vom höchsten Gut stammt, ist eben dadurch geringer als dieses, das heißt: es kann nicht das höchste Gut sein. Der Engel wurde also von Gott als gut erschaffen, aber nicht als das höchste Gut, sondern als ein Gut, das noch der weiteren Vollendung fähig war, sofern es sich nur mit seinem Streben dem höchsten Gut zuwendete. 
Es war also möglich, daß der Engel in freier Entscheidung seines Willens dem höchsten Gut zustreben oder aber sich dem eigenen Gut zuwenden konnte. Der Blick auf seine Schönheit und seinen hohen Rang weckte in Luzifer die Liebe zu seinem eigenen Gut (bonum privatum), er wurde stolz auf den hohen Rang, den er bereits besaß, und strebte nach seiner eigenen Vorrangstellung, die er noch nicht erreicht hatte. In diesem Akt der Überhebung setzte er sich selbst als Ursprung (principium) seiner selbst; er sonnte sich in seinem eigenen Glanz. Im Akt des ehrgeizigen Strebens setzte er sich selbst als höchstes Gut für sich selbst: sein Streben sollte in ihm selbst Ruhe finden. Da er aber selbst weder der Erste Ursprung noch das Höchste Gut ist, folgte aus diesem Streben wider die Ordnung notwendig der Sturz; und aus dem gleichen Grund stürzten alle seine Gesinnungsgenossen. 
Weil es "die Häßlichkeit der Sünde nicht ohne die Zierde der Gerechtigkeit gibt", so verloren sie mit dem Sturz in die Sünde auch ihren erhabenen Ort, das Empyreum; sie mußten absteigen bis zur Sphäre der finsteren Luft oder zur Unterwelt. Daß sie in Sünde fielen, war durch ihren freien Willen herbeigeführt, daß sie der Strafe verfielen, durch den Urteilsspruch Gottes. 
Und weil es die Eigenart des Engels ist, nach der Wahl unwandelbar im Gewählten zu verharren, so wurde Luzifer verhärtet im Bösen, und daher auch blind gegenüber der Wahrheit, verkehrt im Handeln und geschwächt in seiner Kraft. Daher ist sein Wille gottlos, sein Tun, das sich von Gott abgewandt hat, hat sich in Haß und Neid gegen den Menschen gewandt. Die klare Geistesschärfe, blind geworden für die Wahrheit, hat sich auf Täuschungen durch Wahrsagen oder sonstigen Trug verlegt. Den wahren Dienst, der seines Amtes gewesen wäre, verließ er und nahm die Tätigkeit des Versuchers auf. Das machtvolle Wirken (virtuositas) wurde gemindert und beschränkt, und - sofern es zugelassen wird - verlegt es sich auf das Wirken von Wundertaten: durch plötzliche Veränderungen im Bereich der materiellen Schöpfung.
Und weil all dies wider die Ordnung ist, insofern es von einem durch den Hochmut verdorbenen Willen stammt, so verwendet er auch all das als Nahrung für seinen Hochmut: er will von den Menschen angebetet und verehrt werden an Stelle Gottes. Daher kommt es, daß "alle seine Taten schlecht sind". Gott läßt dies dennoch zu, zur Strafe für die Übeltäter und zum Ruhm der Guten, wie es beim Jüngsten Gericht offenbar werden wird."

Hl. Bonaventura, Breviloquium

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen