Sonntag, 1. Juli 2012

Auf-erhebung

"Wenn ein Löwe heute die Prophezeiung über jenen Tag lesen könnte, an dem er Heu fressen soll wie ein Ochse, dann würde er sie nicht für eine Beschreibung des Himmels halten, sondern der Hölle. Wenn es aber im Löwen einzig Raubtier-Empfindungen gibt und sonst nichts, dann ist er ohne Bewußtsein, und sein "Überleben" hätte keinen Sinn. Ist in ihm aber auch nur die Ahnung von einem Löwen-Selbst, dann kann Gott ihm auch einen "Leib" nach Seinem Willen verleihen - einen Leib, der nun nicht mehr von der Vernichtung des Lammes lebt und der dennoch ungeschmälert löwenhaft ist, so daß in ihm alle Energie, alles Prächtige und all die jauchzende Macht zum Ausdruck kommt, die dem irdischen Löwen eigen ist. Meine unmaßgebliche Meinung ist, daß der Prophet sich einer orientalischen Hyperbel bedient, wenn er von dem Löwen und dem Lamme sagt, sie "lägen beieinander". Das wäre nämlich ziemlich unverschämt von dem Lamm. Würden Löwen und Lämmer, außer bei seltenen, alle Ordnungen auf den Kopf stellenden himmlischen Saturnalien, auf solche Weise miteinander verkehren, so wäre das genau das gleiche, als gäbe es weder Löwen noch Lämmer. Ich glaube, der Löwe wird, wenn er aufgehört hat, gefährlich zu sein, immer noch ehrfürchtige Scheu erregen; in der Tat, erst dann werden wir das zu Gesicht bekommen, wovon die jetzigen Pranken und Klauen nur eine plumpe und satanisch entstellte Nachahmung sind. Immer noch wird es dann so etwas geben wie das Schütteln der goldenen Mähne, und oft noch wird der Gütige Fürst sagen: "Laßt ihn noch einmal brüllen."

C. S. Lewis, Über den Schmerz

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