Donnerstag, 9. August 2012

Vernünftige Mündungen


"Wenn nämlich ein Mensch von vornherein weiß, daß er rechnen darf und muß mit einer geschichtlichen Religion, die nur erreichbar ist in der Hinnahme und in der Rückwendung zu einem konkreten raumzeitlichen Hier und Jetzt, die sich nicht auflösen läßt in Vernunftsätze, die nicht einfach das Korrelat eines religiösen Gefühls oder Erlebens oder irgendeiner anderen religiösen Uranlage ist, die schließlich, weil sie gerade als Offenbarung Gottes in menschlicher Geschichtlichkeit kommt, auch all das Zufällige, an sich anders Denkbare und Kritisierbare, Undurchschaubare einer menschlichen historischen Erscheinung hat: wenn jemand mit all dem unbefangen rechnet, ist es für ihn dann schwer, die heilige römisch-katholische Kirche als den Ord der wirklichen Offenbarung des lebendigen Gottes zu erkennen?
Was zunächst diesen Anspruch der Kirche allen nichtchristlichen Religionen gegenüber betrifft, so gehen alle Versuche moderner Religionsgeschichte, die das Christentum zu einer der vielen Phasen und Ausgestaltungen der religiösen Anlage des Menschen einebnen wollen, nicht von einer aposteriorischen Feststellung tatsächlicher Gleichheit zwischen Christentum und anderen Religionen aus, sondern all diese Forschung steht schon von vornherein unter dem mehr oder weniger ausdrücklich ausgesprochenen Apriori, daß es eben keine Offenbarung des lebendigen Gottes an einem bevorzugten Ort menschlicher Geschichte unter Übergehen anderer geben könne und es sich von vornherein nur um das Wie (nicht um das Daß) einer Geschichte aller Religionen handeln könne, in der alle auf den gleichen Nenner zu bringen sind, weil eine "supranaturale" Geschichte einer Religion im Unterschied zu anderen von vornherein nciht in Betracht komme. Was wirklich an Parallelen zwischen Christentum und nichtchristlichen Religionen aposteriorisch festgestellt werden kann, erklärt sich tatsächlich auch ohne Annahme dieses falschen aprioristischen Grundsatzes moderner Religionsgeschichte aus der einfachen Tatsache, daß es sich  hier und dort selbstverständlich um den gleichen Menschen handelt und daß die Erwartung und das Ausschauen des Menschen nach einer wirklichen Offenbarung Gottes dort, wo sie nicht erfüllt ist oder nicht als erfüllt betrachtet wird, von sich aus leicht ähnliche Ersatzbildungen hervortreibt. Wer aber jenes aprioristische Vorurteil nicht teilt und wer von vornherein nicht den Mut zum Absoluten innerhalb des Endlichen aufgegeben hat, für den kann es nicht schwer sein, die wesentliche qualitative Verschiedenheit des Christentums von jeder anderen Religionsbildung festzustellen, die Kirche als das signum elevatum in nationibus zu erkennen, die durch sich selbst schon sich als den Ort der Offenbarung Gottes bezeugt - immer vorausgesetzt, daß man in der Haltung des Rechnens mit einer möglichen geschichtlichen Offenbarung Gottes schon steht. Diese Haltung allerdings ist Voraussetzung dafür, daß man das Christentum in seinem qualitativen Unterschied zu sehen vermag, weil man im anderen Fall in aprioristischer Willkür an die geschichtliche Erscheinung des Christentums Forderungen stellt, die es als Geschichte Gottes, die wesentlich in menschlicher Geschichte und Gestalt kommt, natürlich niemals erfüllen wird.
Was nun aber die Kirche im Verhältnis zu den anderen Gestalten des Christentums angeht, so kommen diese als Antwort auf die menschliche Grenzerfahrung einer Offenbarungserwartung eigentlich schon deswegen nicht in Betracht, weil sie selbst gar nicht mehr den Mut haben (den sie haben müßten), sich exklusiv als den Ort der Offenbarung Gottes schlechthin, und zwar in ihrer eigenen geschichtlichen Einmaligkeit, zu betrachten. Von einer geschichtlichen Offenbarung Gottes kann aber nur dann die Rede sein, wenn die betreffende geschichtliche Erscheinung als solche den Anspruch macht auf das extra ecclesia nulla salus, den Anspruch, als geschichtliche, sichtbare Größe unter Ausschluß jeder anderen der Ort zu sein, an dem der freie Gott einer wirklichen Offenbarung allein adäquat zu erreichen ist, wo Religion als wirklich gelungene Bindung des ganzen Menschen an Gott (was vom Menschen allein aus nie festzustellen ist) tatsächlich vorhanden ist. Wo man diesen Mut nicht mehr hat, wo man sich höchstens noch einen graduellen Vorzug vor anderen christlichen Religionsformen zuschreibt, gibt man die geschichtliche Eindeutigkeit des Wortes Gottes auf und damit den Mut zum Glauben an eine wirkliche geschichtliche Offenbarung Gottes. Kurz: Wer mit der Möglichkeit rechnet, daß ein bestimmtes Stück menschlicher Geschichte mit Ausschluß anderer Gottesgeschichte sein könne, der kann eigentlich nicht mehr anders als im katholischen Sinne offenbarungsgläubig sein und werden. Der Aufweis dieses Rechnenmüssens mit einer solchen Möglichkeit war aber das, worin wir den wesentlichen Kern der christlichen Religionsphilosophie sahen und worin deren wesentlichste Beziehung zur Theologie zu finden ist."

Karl Rahner, Hörer des Wortes, Schluß

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