Mittwoch, 13. April 2011

ETHIK II: Die ganze Gerechtigkeit

Zusatz zur Ethik der Neuen Welt

"Der Rang der Gerechtigkeit behauptet sich auch im Negativen: "Unter den anderen sittlichen Tugenden tritt der Gebrauch der rechten Vernunft am meisten in der Gerechtigkeit hervor...und daher zeigt sich auch der unrechte Gebrauch der Vernunft am meisten in der Verletzung der Gerechtigkeit". Die im Bereich des Natürlich-Menschlichen schlimmste Verkehrung der Ordnung, die eigentliche Perversion des "menschlichen Gutes" hat den Namen Ungerechtigkeit. Es ist von einiger Wichtigkeit, daß der Mensch sich darauf gefaßt mache, geschichtliche Realisierungen des Bösen anzutreffen, in denen sich ein hohes Maß von "Sittlichkeit" mit einem beträchtlichen Grade von "Heroismus" verbindet und die dennoch von Grund aus und auf eine sozusagen unüberbietbare Weise unmenschlich und böse sind - weil sie zugleich ein Äußerstes an Ungerechtigkeit verkörpern. Es ist gut, sich immer wieder einmal daran zu erinnern, daß die letzte Verkehrung des Menschlichen noch nicht in der Zuchtlosigkeit besteht, die den Menschen durchweg vom Gesicht und aus dem Gehaben abgelesen werden kann, sondern in der Ungerechtigkeit, die man dem Menschen, weil sie sich wesentlich im Geistigen zuträgt, nicht so leicht ansieht. Es ist gut, darauf vorbereitet zu sein, daß die mächtigste Verkörperung des Bösen in der Menschengeschichte, der Antichrist, zugleich in der Gestalt eines großen Asketen auftreten könnte. Dies ist in der Tat die fast einhellige Auskunft des abendländischen Geschichtsdenkens. Wer nicht begreift, daß und warum der schlimmste Verderb des natürlichen Menschen die Ungerechtigkeit ist, muß durch die Erfahrungen, die sich in solchen Visionen ankündigen, in eine kaum zu bewältigende Verwirrung gestürzt werden. Er wird vor allem unvermögend sein, die geschichtlichen Voraus-Figuren jenes Endzustandes zu erkennen. Während er in falscher Blickrichtung nach den Mächten des Verderbens Ausschau hält, richten sie vor seinen Augen ihre Herrschaft auf."

Joseph Pieper, Traktat über die Gerechtigkeit


Neuzeitliche Ethik und Moral als Menschengerechtigkeit

Die Ethik unserer Zeit, oder zumindest die ethisch-moralische Fundierung und Gewahrsamkeit unseres Zeitalters, unserer modernen, neuzeitlichen Epoche wie sie z.B. kulminiert auf den Begriff und zur Erfassung gebracht wurde bei Immanuel Kant oder den vielfältigen meist letztlich beim Kant landenden oder aristotelisch-pragmatisch sich verwirklichenden und ableitenden Ethisierungsversuchen ist durchaus durch ein hohes, bishin zu extremes, hitzig-eifriges ethisches Bewußtsein geprägt, eine Prägung, die die sog. ontologische Fundierung in der Welt und der Welt zugunsten einer rein praktisch-moralisch-willentlichen, moralisch-freiheitlichen sich umformen und auf den Kopf stellen läßt, um sich im reinen Willensakt und Vollzug des moralisch kategorisch-unbedingten Willens und seines Vollzuges zu vollziehen oder in einer Durchdringung und Durchspinnung der Welt und einer Konstitution der Welt aus der Verhaltensmodifikation und als ein Gesamt und Gespinst und System aus Verhaltensbezügen und -verhältnissen, welche letztlich und endgültig das Herzstück der pragmatischen und kommunikativen Handlungs- und dann auch Produktions- und Reproduktionswelt bilden, welche die Menschen in ihren Handlungen, in den Inseln als Topiken ihrer Handlungen und in möglichen Summen ihrer Handlungen und Vollzüge bilden und welche sich aus diesen gebildet hat und bildet.

Zwar sind diese zwei Modelle der Gerechtigkeitskonzeption und der Ethik und Moral damit (und hinzu könnte vielleicht noch eine, nennen wir sie, traditional-kultural bestimmte Grundmodalität hinzukommen) an sich scheinbar entgegengesetzt oder einfach von verschiedenen Dimensionalitäten als ihren vorherrschenden Aufstellungsmodi (der Vertikalen und der Horizontalen) geprägt und vorausbestimmt, sie sind jedoch in einem wesentlichen Punkt und Grundkonstitutions- und Intentions- und Formationsverhältnis Eins und Ein und das Selbe und somit Entfaltungen und Darstellungen des Selben und damit das Selbe: Sie sind Konfigurationen und Figurationen der Gerechtigkeit der "Welt" als der Menschengerechtigkeit.

Wenn auch an sich transzendental überschreitend (die Kantische) oder an sich depersonalisierend (die Wohlfahrt als ein übermenschlich-abstrakter Wertzustand der Pragmatik) und somit das Menschliche quasi verlassend, über- oder unterschreitend, so bleiben sie doch letztlich zentriert und beschwert und erschöpft im Menschlichen und in der schwerpunktmäßigen Einrichtung des Menschlichen und des "Irdischen" und entscheiden sich an ihren Rändern und damit grenzwertig als letztlich ausschließlich rein Menschliche und Irdisch-Hiesige.

Dadurch werden sie und entpuppen sie sich aber als gerechtigkeitseinseitig, bzw. -ungerecht und -insuffizient.


Zweifache Gerechtigkeit - Göttliche und Innerweltliche Gerechtigkeit

Gerechtigkeit ist nämlich an sich selber grundsätzlich zweifach bestimmt und verfaßt.

Sie hat zwei wesentlich verschiedene (und dann doch letztlich zusammengehörige und verfügte) Grunddimensionen und -verhältnisse. Gerechtigkeit ist wesentlich göttliche Gerechtigkeit, Gerechtigkeit des Grundes, Gerechtigkeit des Grund- und Ursprungsverhältnisses und d.h. des Verhältnisses zu ihm (und seiner zu uns) UND sie ist Gerechtigkeit der "innerweltlichen", der Hiesigkeitseinrichtung, der Kontingenz und ihrer Modifikation und Gerechtheit. (Hier aber wird schon zumindest die Verwiesenheit der zweiten Dimension auf die erste offensichtlich, welche, wie oben auch für die gegenwärtig gültigen Modelle festgestellt wurde, an ihr offenkundig werden als Verweisungen über sich hinaus (Kantischer Moralismus), vor sich zurück (aristotelischer Pragmatismus und Utilitarismus) oder in sich hinein (traditionaler Traditionalismus).)

Dabei ist das Verhältnis der beiden Substanzialitäten und Grundverhältnisse klar und offenkundig bestimmt. Die Bedingungsebene und -sphäre, die Gerechtheit und Gerechtigkeit gegenüber der und der Ursprungssphäre, der göttlichen Sphäre also und/oder dem Gott gegenüber ist die, wie es an sich offensichtlich ist, Bedingung, der Ermöglichungs-Grund, der Ursprung und die Formationsbedingung der bedingten, kontingenen und wenn auch autonomen und freien so doch abkünftigen und hergestellten menschlichen und irdischen Sphäre und ihrer Gesamtverhältnisse. Sie ist auch somit wesentlicher Bestandteil der irdischen Gerechtigkeit und Moral und Ethik und ihrer rechten Einrichtung und ihres rechten und eigentlich adäquaten und erfolgsgarantierenden Vollzuges.
Ihr wie auch immer substanziell ausbleibender Vollzug und die mangelhafte oder gar ausbleibende, völlig "implizite" Verortung innerhalb der Kontingenzethik und d.h. das Ausbleiben einer expliziten Verzeichnung und Verortung ihres Vollzuges (als Sacerdotium) ist das Kriterium der völligen Fehlerhaftigkeit und Hinfälligkeit und dann auch Ausständigkeit der Gerechtigkeit und somit vorläufig erstmal die Einrichtung und die Eingerichtetheit eines tendenziell inhaltlich und formal ungerechten Verhältnisses und einer Ungerechtigkeit oder zumindest eine Insuffizienz und Mangelhaftigkeit der Gerechtigkeit und eines Gerechtigkeitskonzeptes, das tendenziell mangelhaft und halbiert und somit noch ungenügsam, unfertig, ausständig, verwirklichungsausständig, potenzial ist.

In diesem Zustand befindet sich aber die sog. moderne Welt und unser Zeitalter. Es ist in diesem Sinne,  wie auch im vielen Weiteren auch, ein potenziales. (wenn das Urteil seiner Diagnostizierung positiv und wohlwollend ihm gegenüber geprägt sein soll.)


"Der Kampf der Gerechtigkeit"


Unsere Zeit ist, so wird es gesagt, wesentlich von einer theologischen Emanzipationsbewegung bestimmt und durch sie sogar konstituiert. Das Göttliche in diesem Fall und Sinn, der Gott und seine hiesige Repräsentation sind Horrorbedrohungen der Existenz und gleichbedeutend mit Verhinderungsgründen der Autonomie.
(Eine andere kulturphilosophische Beschreibungsrichtung könnte in dem Rückzug der theopolitischen Dimension unserer Kultur und Zeit eine Selbstrückzugsbewegung und/oder -opferungsbewegung des Gottes und seiner Ordnung entdecken, eine Zeit und Beauftragung der Erfüllung der göttlichen Vorausbestimmtung der Existenz, des Lebens und damit der ethischen Autonomie. In diesem Sinn ist die Neuzeit eine Zeit, die unterwegs ist auf die Vollendung und Erfüllung jener ganzheitlichen Vergöttlichungs- und d.h. Kommunionsexistenz. Sie ist die Zeit, die unterwegs ist auf eine erneute und dann auch völlige und ganzheitliche Begegnung und Wiederentdeckung ihrer Verwiesenheit und Eröffnetheit auf einen unbedingten und unendlichen Horizont, auf einen Grund und ein Telos einer Fülle und Gesamtheit, welche im Mitsein mit dem und aus dem Gott und dem Göttlichen bestimmt sind und darin die eigene Erfüllung, Autonomie, Befreiung und Einrichtung erlangen und als vor dem Unendlichen Vorstellige auch empfangen und einrichten können. Die Neuzeit ist die Zeit, die unterwegs ist auf die Einrichtung der Neuen Zeit, zu ihrer Selbsteinlösung.)

In diesem Sinn ist neuzeitliche Gerechtigkeit und Begründung wesentlich Abkehr von jener göttlichen und theopolitischen Gerechtigkeit und dann auch Gerechtigkeitseinrichtung und -ordnung.
Alles muß diese Zeit dann in das Innerweltliche hinein pressen und in diesem verortet sein lassen.
So kann das Innerweltliche aber nichts anderes als eine Bedingung des Berstens sein, eine Berstensbedingung sei es des Aufgangs (wie bei einer Knospe die aufspringt und einer Blüte die ihre Pollen versträubt) oder einer explosiven Zerspringung und Zerstörung.
Im besten und in jedem Fall aber letztlich uneigentlich bleibendem Fall wird die Zeit in ihrer Konstitution verweisend und offen sein. Sie wird auf etwas verweisen und geöffnet sein, das aber dann nicht die Kraft haben kann, wirkliche Kraft des Innerweltlichen zu sein. Das ist der kantische Moralismus. Die Immanenz wird sich dann von der Schuld freihalten können, sie hätte sich völlig verschuldigt gegen eine Möglichkeit gerechter und gebührender Ordnung und Einrichtung der Wirklichkeit, sie wird aber diese ihre hauchhafte transzendental-moralische Einrichtung (die bisweilen sehr kategorisch daherkommen kann) nie wirklich wirklich sein lassen können und brauchen und damit faktisch abwesend und nur formal wirkmächtig sein lassen. Wie man es dreht und wendet, die Neuzeit, zumindest bisher und in ihrer bisherigen Selbstverständigung und zunehmenden Verfestigung und Ideologisierung, bleibt und ist wesentlich innerweltlich, säkular eben bestimmt. Das ist ja ihr Gütesiegel und heiliger Wert. Säkular aber immer uneigentlich und nicht wirklich, da halbiert, beschnitten und von ihrer eigentlichen weltlichenden Dimension und Quelle und Autonomie-, Freiheits- und Bestimmungsgewähr befreit, eine Un-welt also und letztlich, eine verhinderte, gefangengenommene deautonomisierte, paralysierte Lager- und Zwangsherrschaftswelt, wie sich auch politisch immer mehr und offensichtlicher gezeigt und realisiert hat, das was ihr Wesen ist und was immer mehr auch hinter der letzten "Freiheitsbastion", der der freiheitlich-demokratischen-freimarktlichen-säkularen Gesellschaftsordnung als ihre eigentliche nomialunabhängige Wesentlichkeit hindurchscheint, als das was bleibt und wirklich ist, jenseits schöner PR-Worte und Kampagnen.
In diesem Sinn bedarf die Zeit äußerster Wachsamkeit, einer Wachsamkeit und Engagiertheit die aber echt und wirklich ist und nicht wiederum Scheinwachsamkeit und -engagiertheit ist, einer Wachsamkeit, die für die letzten Reste und Möglichkeit wirklicher Freiheit und Befreiung sich einsetzt und auf jenen wirklichen Quellen beharrt, welche einzig in der Lage sind, die gesamte Wirklichkeit eigenmächtig und wirkmächtig und völlig anzuverwandeln und zu erlösen und freizumachen und freizusetzen in eine Verwirklichung hinein, die dem Menschen einzig adäquat ist und ihn einzig herausbringt und in und vor jenes Licht bringt, in welchem er UND das Licht leuchtet und leuchten.

In diesem Sinne kann der Einsatz für die Gerechtigkeit und die Gerechtheit nur und erst mals ausschließlich ein Einsatz für die göttliche Gerechtigkeit sein.

Sie aber ist als der Quell und Ursprung der überreiche Ursprung und der niemals versiegende Quell der übersprießenden und wohleinrichtenden und gewährenden und hütenden Einrichtung jeglicher innerweltlicher und dann jeglicher Gerechtigkeit an sich.

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