Mittwoch, 31. Oktober 2012

Ausgewogenheiten

"Die Kirche als Institution ist somit die Form, ihre Diener das "Sakrament“ des mystischen Leibes Christi. Ihr Fortschreiten in der Zeit belässt sie mit sich selbst identisch, ohne Nachteile für die Typologien, die im Verlauf der Geschichte die spirituellen Gesetze dieses Fortschreitens zutage treten lassen. Im Licht des grandiosen Schemas des Heilswerkes, wie es die griechischen Lehrer vortrugen, sind die Menschwerdung Christi und sein sichtbarer, sozialer Leib wesensbestimmend für die geschichtliche Mittlerstellung der Kirche zwischen Gott und Mensch, so dass sie durch ihre eschatologische Spannung nicht zu einer spirituellen Theokratie verbogen wird. Gerade der Plan der Summa Theologiae des Thomas, der auf der Rückkehr zu Gott durch die geschichtliche Realität der Inkarnation und in ihr gründet, illustriert die einzigartige Ausgewogenheit dieser Synthese, die die Theologen der Reformation und der Gegenreformation nicht beachten werden. Es ist ziemlich sensationell, dass es die Magistri dieser evangelisch orientierten Generationen sind, die nicht nur praktisch, sondern auch denkerisch in der tiefen Krise der Christenheit beim Eintritt in die neue Zeit das Wesen der Kirche umrissen haben, ihre christologische Natur, ihr spirituelles Lebensgesetz, ihre gotthafte Innerlichkeit, ihre hierarchische Verfassung, ihre unfehlbare Zeugenschaft. Die Kirche der Inkarnation in der Abfolge der geschichtlichen Christenheit ist die Wirklichkeit und das Maß der Kirche des Heiligen Geistes."

Marie Dominique Chenu, Thomas von Aquin, Rowohlt, 1960

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