Montag, 15. Oktober 2012

Versöhnte Welt - mundus reconciliatus



Was ist oder was könnte eine „versöhnte Welt“ sein? Ist eine solche möglich? Eröffnet sich die Vorstellung einer solchen vergegenwärtigten Versöhnung? Wäre sie real möglich? 

Alle diese Fragen gehen aber schon aus von so etwas wie einem Zustand der „Unversöhntheit“ der Welt oder von einem Zustand, der als solcher festgestellt oder bezeichnet werden könnte, der aber vielleicht nichts anderes als Naturgegebenheit, Geschick oder pure Faktizität des Ungünstigen und Faliblen ist. 

Gibt es aber nicht auch zugleich eine tiefe Erwartung, Erhoffnung und Sehnsucht nach der und der Versöhnung in und der Welt? Braucht auf jene gerade eingebrachten Einwände, ob es denn überhaupt so etwas wie eine Unversöhntheit der Welt gebe, eingegangen zu werden? Entstammen sie nicht nur letztlich teillegitimen und abkünftigen Bereiche einer abstrakten und zergliedernden Intellektualität und dann auch Unnatürlichkeit, welche nicht DIE Wirklichkeit als solche im Blick behalten. Und ist nicht ein wirklicher „herzzentrierter“ und gemitteter und wesentlicher Blick und sein Fragen, das die eigentliche ursprüngliche lebensweise Ursprünglichkeit besitzt und behält, derjenige Blick, der die gesamte Wirklichkeit im Visier behält und aushält und der dann auch ganz selbstverständlich von jener Unversöhntheit der Welt weiß und sie vernimmt und sich ihr als die eigentliche Lebensweisheit stellt und sie zu untersuchen versucht, um sie vielleicht auch ihrer Lösung zuzuführen oder um sie dorthin zu führen und auf die Weise auszulegen und aufzuschießen, dass sie an Quellen anschlüssig wird, welche sie in eine Aufhebungs-, Lösungs- und Heilungsbewegung bringen? Diese „ursprüngliche Weisheit und ihr Blick“ ist, das muß vorausgehend festgelegt werden, keine eigentlich nur „natürliche  Intuitivität“ (und d.h. nicht ernstnehmbare unreflexe, vorwissenschaftliche Vermeintlichkeit). Sie ist auch kein Überwissen. Sie ist nicht ursprünglich und gemittet im Sinne von naiv, primitiv und unentfaltet. Nein, sie ist der Ausdruck für jene „lebensmäßige“ und d.h. -gesättigte Fülle der Versammlung und Ermöglichung jeglicher Verständigkeit, Absichtlichkeit und Wahrnehmbarkeit, für jenen Zugriff, Eingriff und jede Wahl. Sie ist jenes, was die Griechen ursprünglich nous nannten. Das Vernehmen. Vernehmen im vollumfänglichen und zugleich bestimmtesten Sinne des Wortes. Sie ist die eröffnete Sicht der adäquaten Methode der Vernehmung und Behandlung von Lebens- und Wirklichkeitsverhältnissen wie solchen, um die es hier geht und damit der Bestimmungsmodus der Erkenntnis jeglicher rein verstandesmäßigen Abkünftigkeit, Vorläufigkeit oder Ausdifferenzierung und Zersetztheit. In diesem Sinne ist sie dann auch die höchste mögliche, ja die optimale natürliche Erkenntnisfähigkeit und -vermögen. Sie ist das, worum es Platon in seinem logos des nous ging, welcher wirklichkeitserschließend ist und was das bei Hegel die absolute Vernunft der Wirklichkeit wird und Wirklichkeit als Vernunft, eingelegte Idee ohne ihre monistische Überspannung und Anmassung mitvollziehen zu müssen, welche sie dann eh vor sich aufheben und zerstören müsste und würde. 

In diesem Sinne ist Unversöhntheit dann wahrnehmbar in einem ganz eminenten und ursprünglichen Sinne. Sie wird einer Hinwendung und Aufmerkung vernehmbar als eine Wunde, ein Riß und ein Geschwürgebilde der Welt. Dies sind, wie gesagt, keine unelaborierten vorreflexen, primitiven und inadäquaten Bilder oder Verstandesbilder für eine transzendente Wirklichkeit. Nein sie sind ihre eigentlichen und Auf-den-Punkt-Bringungen und Erfassungen. In ihnen ist das Verhältnis der einzufangenen Wirklichkeit des Phänomens adäquat erfasst und (noch dazu) anschaulich bezeichnet. 

Muss und soll über diese, solchermaßen wahrgenommene und d.h. vernommene, Unversöhntheit (und Verderbtheit) auslegend und analysierend etwas gesagt und gearbeitet werden? Gibt es nicht hinreichende Auslegungen und Analysen dieses Verhältnisses, die teils bis ins Wurzelhafte seiner gehen, um ihn vollkommen bloßzulegen? Ist eine andere als eine schweigend-vernehmende und so sich entsetzende Haltung und Vernehmung einer solchen Tragödie des Vernommenen und der Vernehmung überhaupt angemessen? Kann je mehr gesagt werden als in diesem überaus wissendem, verstehendem und mitleidenden und trotzdem aushaltenden Zustand und Modus der schlichten Ver- und Annahme?

Wird aber diese Zuständlichkeit der Welt überhaupt hinreichend wahrgenommen, um somit erneut zu einem Modus eines der ersten Einwände zu kommen. Sei es in Verdrängung, Verschweigung, Angewöhnung, Für natürlich Haltung oder auch in schlichter absetzender Empörung äußern sich Modi der Abschiebung jenes Zustandes in seiner Ganzheit und eben auch lebensmäßigen Wuchtigkeit und Materialität. Verstellen nicht solche Vernebelungen die Möglichkeit seiner Realisierung und dann auch möglichen Verwandlung? Von hieraus wird, wie mir scheint, dann doch kurz notwendig wenigstens wesentliche Grundstrukturen des Unversöhntheitsmodus auszusprechen oder zu vergegenwärtigen: Es ist einerseits eine allgemeine und einfache Art einer grundsätzlichen, typologischen und allgemeinen Antagonalität (auch des Gleichen oder des Selben eben!). Andererseits scheint mir eine zweite Dimensionalität oder Komponente der allg. Unvesöhnheit eine zu sein, die in der modernen Zeit wenig oder überhaupt keine Beachtung findet, die aber als die sogar grundbestimmende und wesentlichere erkannt werden könnte: nämlich die der trans-immanenten Unversöhntheit oder Unstimmigkeit, wie ich diesen Komplex nennen möchte. Es handelt sich hier, so könnte man auch sagen, um eine grundsätzliche und grundlegende Unstimmigkeit oder Irritation des Bedingungs-Bedingten-Verhältnisses, des Ursprungs-Abkunfts-Verhältnisses, des Schöpfungs- und Geschöpflichkeits-Verhältnisses (bei welchem nicht mehr ausgemacht ist, ob es Zustand „normaler und allgemeingültiger“ Betrachtung oder Kategorialität überhaupt sein kann und somit (für diesen Bereich) überhaupt besteht.) Das eigentliche gesamte Unversöhntheitsverhältnis ist aber dann in seiner Gesamtheit ein komplexes, kreuzweises und kreuzigendes Verhältnis aus diesen zwei Komponenten, Dimensionalität und Ebenen, welche in ihrer (häufig ausschlußhaften) Wechselergänzung das eigentlich „schwierige“ Wesen der Unversöhntheit ergeben.
Wenn wir das wissen und wenn wir annehmen, bzw. unausweichlich hinzunehmen müssen, dass wir letztlich in ihren obersten und dann auch bestimmendsten Bereichen in einer Welt des Bewußtseins und des freien Willensentscheidungsvermögens also des bewußten Entscheidungsvermögens leben, dann ist klar, dass Unversöhntheit aus sich und rein für sich betrachtet als solche nicht möglichkeiten und Modi ihrer Aufhebung und Lösung hat. Eine Unversöhntheit ist wesentlich durch ihre intrinsische Resonanzverstärkung und d.h. Ultimatisierung und d.h. Verabsolutierung bestimmt. 

Dies aber bedeutet nicht, dass es trotz einer solchen, ich möchte sagen faktizistisch-technischen-immanenten Unmöglichkeit der Auflösung, vielmehr der Prädestination der Vernichtung und Unauflöslichkeit, nicht gerade neben diesen und durch diese eine autonome Dimensionalität gibt, welche gerade im direktproportionalen Modus ihrer Intensivierung und Verwirklichung eine Offenheit und Herbeiwendung einleitet und auslöst, welche zu einer echten Hilfsmöglichkeit und auch Auflösung verhelfen und welche sie eben als Versöhnung herstellen, als versöhnte Welt eben aufgängig machen kann. 

Die plötzliche mögliche Hoffnungs- und Sehnsuchtseröffnung gerade innerhalb einer völlig aussichtslos scheinenden Verklintschung und d.h. eben festgefahrenen Unversöhntheit ist der Abhebungshorizont vor und in welchem jene Verschränkung allererst disanziert und instrumentalisiert und so möglicherweise auch anverwandelt, aufgelöst und eben versöhnt werden kann. 

Wichtig scheint auch zu sein, da wir uns ja eben in auch personalen und letztlich personalen Unversöhnungsverhältnissen der Welt bewegen (Wir sind immer unversöhnt! Nicht eine allgemeine, vorlgängige, naturale „Welt“.), festzustellen, dass die Beschaffenheit jener sich abhebenden Horizontalität der Hoffnungs- und Sehnsuchtseröffnung als Abhebung schon dann aber auch letztlich personal beschaffen sein muss, wenn sie eine Relevanz haben und behalten soll für die personal Unversöhnten. Und weil sie nicht das Selbst der Unversöhnten selbst sein kann, die ja eben unversöhnt sind, muss es das Selbst des Ganz anderen sein, welches dann auch von sich aus in dieses Unversöhnungsverhältnis hineinkommen muss und gekommen sein muss, um zu versöhnen. Dieses absolute und letzte, versöhnende und versöhnungsermöglichende Instanz wird aber eben innersystemisch, wie jener neue Horizont, ein Ersehntes, Gewünschtes, Erträumtes, aber letztlich doch nicht Vorhandenes und Irreales, Eingebildetes und deshalb Verleugenbares sein und bleiben müssen. Es wird diese sehnsuchtsbestimmte leere morphogenetische Form sein und bleiben müssen, welche das System prägt, die aber auch immer wird ausgefüllt werden müssen, um Realität, reale Versöhnungseröffnung und dann auch reale und echte Versöhntheit zu sein: versöhnte Welt eben. 

An dieser Stelle möchte ich mit dieser Auseinandersetzung des „Unversöhnungs-Auflösungs-Verhältnisses“ (von Seiten der Unversöhnung und der Welt) halten. Sie ist sowieso zu weit reingegangen, was sie nicht wollte. Der Titel des Textes lautet ja „versöhnte Welt“. Es war jedoch nötig in die Beschaffenheit und auf die Beschaffenheit dieser Unversöhnung der Welt sich einzulassen, sie soz. als solchen leibhaftig zu vergegenwärtigen. Gleichzeitig wurde dabei eine Schicht und Komponente dieses Fleisches der Unversöhnung deutlich, die sich als die morphogenetisch leere Form der Sehnsucht (der Unversöhnungsüberwindung) erzeigt hat, welche auch an jener Unversöhntheit, soz. als ihre Phantombestimmtheit ist. 

Aus welchem Zusammenhang stammt aber die Rede von der „versöhnten Welt“? Die Wendung, um es direkt zu sagen, ist eine Wendung des Hl. Augustinus, welche der Hl. Augustinus als der am meisten von der Welt kommende und der am meisten einflußreiche westliche Kirchenlehrer als mundus reconciliatus für die Kirche als solche gefunden und geprägt hat. Die Wendung ist an sich keine Nominalbezeichnung. Sie bezeichnet vielmehr oder ist die Beschreibung oder Erfassung des Gesehenen und wesentlich Bestimmenden der Kirche: Sie ist in irgendeiner Weise (auch und vor allem im Verhältnis und d.h. im ständigen Vergleich) die „versöhnte“ Welt. In ihr findet sich die Welt (das an ihr offenkundig Unversöhnte und Unheile und dann auch Offensichtliche) versöhnt. Augustinus benennt aber gerade die Kirche nicht „als etwas anderes“ der Welt. Die Kirche ist der mundus, der rekonziliiert ist. Sie ist die Welt, die versöhnt ist. Sie ist die Welt im Modus der Versöhntheit. Wie das? Und wie schrecklich für die Welt. Oder doch nicht? Eigentlich nicht! Denn es ist ja die versöhnte Welt. Wohl ist der Augustinus der erste gewesen, der die beiden Welten im wahrsten Sinne des Wortes (in seiner Civitas) auseinandergelegt hat. Auf eine gefahrvoll manichäistische Art hat er zwei Ursprünge und damit scheinbar zwei eigenständige Substanzialitäten letztlich aus dem Welt- und dem Gottesstaat gemacht und hat es nicht geschafft, wie es seiner Lehre vom Wesen des Bösen adäquat und analog gewesen wäre, sie als eine Devianz des Einen aufgängig zu machen, so dass der Weltstaat hätte als ein defizienter Modus der Civitas Dei offenkundig und präsent werden müssen, welcher immer nur als Nicht-Sein des Optimus der reinen Civitas ist. Wie dem auch sei, die Bezeichnung mundus reconciliatus soll für sich genügen, jene selbstdifferente Selbigkeit des Versöhnten und Unversöhnten präsent bleiben zu lassen, um an ihr in das Wesen jener Versöhnung, um die es eigentlich geht, zu gelangen. 

Wie ist eine Versöhnung der Welt möglich und ist sie möglich? 

Die wenigen kleinen Bemerkungen und Überlegungen sollten offensichtlich gemacht haben, inwiefern die Welt, um der Möglichkeit einer grundsätzlichen Lösung ihres noch grundlegenderen Unversöhntheitsverhältnisses der Eröffnung der Möglichkeit einer Offenbarung und Offenbartheit des Angebotes, der Möglichkeit und dann auch vielleicht auch Wirklichkeit ihrer Versöhnung bedarf, einer die den oben herausgestellten Kriterien genügt, die ihnen angemessen entgegenkommt und auch in der Hinwendung der Unversöhntheit der Welt gerade im Modus und Zustand ihrer Unversöhntheit in der Hinwendung des Blickes zu deren historischer Vorhandenheit oder Möglichkeit ausfindig und bereitgestellt finden kann. 

Der Versöhnung hängt wesentlich mit der Öffnung für diese Annahme zusammen. Nicht von ungefähr bezeichnet das deutsche Wort Versöhnung den Sohn, welcher dann in jener Offenbarung als jener personale Mittler entgegenkommt des allgemeinen Versöhnungsgrundes und Horizontes  (als der Hervorbringer des Ganzen .. Versöhnten und Heilen..), welcher in der Macht des Heiligen Geistes, des Geistes der Versöhnung eben, einzig in der Lage ist und sein wird (wie immanent-struktural gesehen wurde und werden kann), jene Versöhnung dann zu vollbringen und Wirklichkeit werden oder geworden sein zu lassen. 
In diesem Sinn wird dann versöhnte Welt und Versöhnung der Welt: Kirche. 

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